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Familie wehrt sich gegen Tierpension

Projekt der Aids-Hilfe am Schmetterlingsweg - Gutachter uneins - Anwohner droht mit Klage

Von Matthias Meyer zur Heyde und Hans-Werner Büscher (Foto)
Oldentrup (WB). Tiere sollen es gut haben, auch wenn Herrchen mal verreist. Ex-Drogenabhängige soll man resozialisieren. Kinder sollen unbehelligt spielen dürfen. Der Bürger soll nachts ruhig schlafen können. Die Stadt Bielefeld soll ihre leeren Kassen auffüllen. Lassen sich all diese Interessen unter einen Hut bringen? Mitnichten.

Am Schmetterlingsweg in Oldentrup bahnt sich eine Geschichte an, aus der am Ende (man muss kein Prophet sein, um dies voraussagen zu können) einige Beteiligte beschädigt hervorgehen werden. Nur - wer? Noch wird, buchstäblich um jeden Fußbreit Boden, erbittert gerungen.
Im Herbst 2005 stellte die Aids-Hilfe Bielefeld beim städtischen Bauamt den Antrag, am Schmetterlingsweg 31 eine Tierpension einrichten zu dürfen. Auf dem 3400 Quadratmeter großen Gelände, das dem stadteigenen Immobilienservicebetrieb ISB gehört, stehen ein Wohnhaus, zwei Holztrockenschuppen und eine Garage.
Östlich des Areals verläuft die Autobahn, im Süden steht das Frachtpostzentrum. Im Norden, direkt hinter dem Maschendrahtzaun, toben die Kinder des Vereins »Naturnahes Spielen - Die Maulwürfe«. Und im Nordwesten, kaum 30 Meter von Nr. 31 entfernt, wohnt in Nr. 27 die Familie Rogat: Vater Peter (Autohändler), Mutter Julia (Tagesmutter) sowie die Töchter Rowena (9) und Pauline (5), zwei von 30 »Maulwürfen«.
Seit dem 1. Juli 2005 bereits schult die Aids-Hilfe auf dem Gelände 20 Menschen, je zur Hälfte ehemalige Drogenabhängige (»Methadon-Substituierte«) bzw. Langzeitarbeitslose. Sie werden von einer Tierpflegerin im Umgang mit Hunden, Katzen und Kleintieren unterwiesen; ein Sozialarbeiter kümmert sich um die Probleme der Teilnehmer. Das Projekt mit dem Titel »HIV und Beschäftigung« (zehn Vollzeitstellen sind geplant) wird vom Europäischen Sozialfond (225 000 Euro über zweieinhalb Jahre), von der Bielefelder Agentur »Arbeitplus« und von der Entwicklungsgesellschaft REGE gefördert.
Ein von der Aids-Hilfe beauftragter Gutachter (Klaus Beckenbauer, Bielefeld) kommt nach Auskunft von Peter Rogat zu dem Schluss, der zu erwartende Lärm sei zumutbar. »Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass alle angekündigten Baumaßnahmen, vor allem eine wirksame Schallisolierung, tatsächlich ausgeführt werden - wer aber prüft das?«
Generell kann Rogat, der ahnt, dass er wohl wird klagen müssen, den Wert eines Gutachtens nicht nachvollziehen, das auf so schwachen Beinen stehe wie dieses: »Die Beurteilung fußt auf der so genannten ÝTechnischen Anleitung LärmÜ, obwohl Beckenbauer zugibt, dass die ÝTA LärmÜ gar nicht für eine Tierpension ausgelegt ist.«
Beckenbauer veranschlagt laut Rogat die so genannte »Ton- und Informationshaltigkeit«, also das Bellen, das den allgemeinen Geräuschpegel (Autobahnlärm u.ä.) übertönt, mit drei Dezibel (dB[A]). Das von den Rogats in Auftrag gegebene Gegengutachten (Dr. Werner Brauns, Düsseldorf) jedoch setze diesen Wert mit sechs dB(A) an. Eine Zunahme um sechs dB(A) entspricht einer Verdoppelung der Lautstärke.
Das Gegengutachten sollte Ende der Woche vorliegen, »verzögert sich aber, weil die Aids-Hilfe ständig neue Angaben macht, wie sie die Anlage bautechnisch nachzurüsten gedenkt.« Darauf müssten natürlich die Berechnungen jeweils neu abgestimmt werden.
Gutachter Brauns habe in einem vorläufigen Entwurf der Stadt Bielefeld ins Stammbuch geschrieben, Bauaufsichtsamt und Staatliches Umweltamt in Detmold hätten eine gesetzlich vorgeschriebene Plausibilitätsprüfung durchzuführen. Diese diene dem Zweck herauszufinden, ob die vom Antragsteller (Aids-Hilfe) gemachten Angaben und die dem Beckenbauerschen Gutachten zugrundeliegenden Annahmen und Voraussetzungen überhaupt zuträfen. »Diese Prüfung fand aber nie statt«, moniert Rogat.
Der städtische Bauordnungsrechtler Dieter Lohmeier versichert, das Verfahren laufe gesetzeskonform. Schwebende Verfahren würden jedoch nicht kommentiert; die Akte liege ihm nicht vor.
l Merkwürdig: Aus Sorge um die eigenen Töchter und um die »Maulwurf«-Kinder sprach Julia Rogat mit dem Jugendamt, Abteilung Ost. »Amtsleiterin Uta Olderdißen erklärte, sie könne mir nicht helfen, weil der Verein ÝNaturnahes SpielenÜ keine städtische Einrichtung sei. Privates Initiative zum Wohle der Jugend zählt also nicht.«
l Merkwürdig: »Die Stadt will 15 mögliche Standorte für die Tierpension geprüft haben, aber überall habe es mehr Anwohner gegeben«, sagt Rogat. »Die Botschaft: Am Schmetterlingsweg, wo nur eine Familie betroffen ist, ziehen wir das auf Gedeih und Verderb durch. Industrieflächen wurden nie geprüft, weil sie durch anderweitige Verwendung mehr Geld in die leeren Kassen spülen.«
l Merkwürdig: Vor einem Jahr hatte die Stadt das fragliche Areal privaten Mietern angeboten. »Im Exposé allerdings wurden zu hohe Hürden aufgebaut«, berichtet Rogat. »Eine Nutzungsänderung der Gebäude war verboten, und der potenzielle Mieter hätte den Baumbestand erhalten und sogar aufforsten müssen. Jetzt aber, mitten im noch schwebenden Genehmigungsverfahren, wurden zahlreiche Bäume gefällt, um Platz für die Freilaufflächen zu schaffen.«

Artikel vom 31.03.2006