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Mit Rasen-Schach zum Erfolg

WM-Paten (Folge 15): Toni Pavlic traut Kroatien das Halbfinale zu

Von Oliver Horst (Text und Foto)
Versmold (WB). Locker nimmt er den Ball auf, lässt ihn vier, fünf Mal durch die Luft tanzen, um das Runde dann auf dem Fuß zu jonglieren. Ist ein Ball in der Nähe, kann Toni Pavlic gar nicht anders. Der 23-jährige Versmolder bezeichnet sich selbst als »absolut fußballverrückt«. So unbändig wie der Spieltrieb, so groß ist auch die Begeisterung für die Nationalelf seines Vaterlandes Kroatien.

Von Geburt an ist Ostwestfalen-Lippe zwar die Heimat des sportlichen Multitalents, das nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch mit dem Tennisschläger Ballgefühl beweist. »Doch wenn es um den Sport geht, bin ich mit ganzem Herzen Kroate«, sagt Toni Pavlic. Das gilt ganz besonders, wenn das runde Leder rollt. Dann verwandelt sich ein kleines Stück Versmold (Kreis Gütersloh) für einige Stunden in ein Fleckchen Kroatiens. »Länderspiele sind bei uns immer auch Familientreffen. Da kommen schnell 20 Leute zusammen, die gemeinsam vorm Fernseher fiebern.« Und über offener Flamme schmort -Êganz landestypisch -Ê Spanferkel oder Lamm am Spieß. »Stimmen« die Ergebnisse, darf natürlich auch der legendäre Slibowiz-Schnaps zum Anstoßen nicht fehlen.
Achtungserfolge hat die junge kroatische Sportgeschichte gleich reihenweise aufzubieten. Nach dem Unabhängigkeitskrieg, der 1995 endete, startete die Sportnation quasi bei Null. Entsprechend bedeutend seien für das Nationalgefühl der Kroaten die Resultate. An den ersten großen Auftritt auf der Fußball-Bühne erinnert Toni Pavlic gerne: Bei der WM 1998 in den USA sorgten die Balkan-Kicker für Furore. Auf dem Weg zu Platz drei musste sich im Viertelfinale auch das deutsche Team den Kroaten um Stürmerstar Davor Suker mit 0:3 geschlagen geben. 2002 blieben die Kicker von der Adriaküste dagegen trotz des Erfolgs über den Erzrivalen Italien in der Vorrunde auf der Strecke.
Diesmal soll südländische Begeisterung über kroatische Siege wieder in Hupkonzerten im ganzen Land ihren Ausdruck finden. »So war es auch nach der Qualifikation für die WM, da herrschte Freude pur«, sagt Toni Pavlic. Den Einzug ins Viertel- oder Halbfinale hält der 23-Jährige, der jedes Jahr seinen Sommerurlaub in Kroatien verbringt, für realistisch.
Nicht zuletzt weil fast die halbe Mannschaft aus Bundesliga-Legionären besteht - neben Stürmer Ivan Klasnic von Werder Bremen zählen unter anderem die »Berliner« Nico Kovac und Josip Simunic zum Kader -, »spielt Kroatien den taktiktreuen und disziplinierten deutschen Fußball«. Nicht nur das schachbrettartige Muster auf den Nationaltrikots erinnert bisweilen an Rasen-Schach. Das bekamen auch Vorrundengegner Brasilien beim 1:1 im Testspiel vor einigen Monaten und die Argentinier bei der 2:3-Niederlage am 1. März zu spüren.
Der deutschen Elf traut der Ostwestfale mit kroatischem Pass noch mehr zu als seinem Team: »Im eigenen Land werden zusätzliche Kräfte freigesetzt, wird die Stimmung die Mannschaft beflügeln.« Das Halbfinale werde die Klinsmann-Elf auf jeden Fall erreichen. Zum Favoritenkreis zählt Pavlic, der früher für den SV Häger in der Bezirksliga die Schuhe schnürte, auch England und die Niederlande. »Brasilien schafft's diesmal nicht. Und den Italienern versagen in den entscheidenden Momenten die Nerven. Oder sie fliegen im Achtelfinale raus -Êgegen ihren Angstgegner Kroatien.«
Selbst wäre er gerne live im Stadion dabei. »Ich habe alles versucht, aber bislang keine Karten bekommen.« Jetzt hofft er, so viele Spiele wie möglich vorm Fernseher zu verfolgen. Doch das ist nicht ganz einfach. Als Lagerarbeiter einer großen Lebensmittelspedition ist Pavlic genau dann im Einsatz, wenn die Spiele laufen. Bei der zurückliegenden WM waren sogar Fernseher im Betrieb aufgestellt, so dass der Ball nicht ganz an Toni Pavlic vorbeilief. »Außerdem spare ich jetzt meinen Urlaub auf. Dann sind vielleicht doch noch einige freie Tage während der WM möglich. Zumindest für die Partie meiner Kroaten gegen Brasilien setze ich voll auf das Verständnis meines Chefs.«

Artikel vom 12.04.2006