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Von Bielefeld nach Baltimore

Von Lars Rohrandt
Im Seminar über amerikanische Geistesgeschichte sitzen vier Studenten und diskutieren mit Prof. Dr. Dorothy Ross. Die Jungwissenschaftler sind gut vorbereitet, schließlich haben sie für diese Veranstaltung mehr als 200 Seiten gelesen. Und das Sitzung für Sitzung. »Das ist hier typisch«, erzählt Elisabeth Schwinge. »Betreuung und Studium sind sehr intensiv.« Mit »hier« meint die 23-Jährige die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, Maryland, USA. Seit September studiert sie dort gemeinsam mit Friederike Brühöfener Geschichtswissenschaft.

Im Mai kommen die beiden jungen Frauen zurück nach Ostwestfalen. Bis zu drei Studenten der Bielefelder Geschichtsfakultät haben jedes Jahr die Chance, an der angesehenen Privat-Universität in Baltimore zu studieren.
»Uns wurde dieses Programm im ersten Semester vorgestellt«, erzählt die Steinhagenerin Elisabeth Schwinge. Schon damals lockte es, später griffen die Beiden dann zu. »Es schadet schließlich nicht, seinen Horizont zu erweitern«, sagt Friederike Brühöfener (24), die in Lippinghausen (Kreis Herford) aufgewachsen ist, mit einem Augenzwinkern. Nachdem das Duo binnen sechs Semester das BA-Studium beendet hatte, ging's in die USA.
Zwei Semester nehmen die Studenten aus Bielefeld in Baltimore am dortigen Doktoranden-Studiengang teil. Die Studienbedingungen sind traumhaft: Ein Professor betreut eine handvoll Studenten. Das hat natürlich seinen Preis - genau genommen 15 000 Dollar pro Semester. 80 Prozent der Studiengebühren erlassen die Amerikaner ihren deutschen Gästen, den Rest übernahm bisher der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD). Doch diesen Zuschuss gibt es nicht mehr. Die Zukunft sei ungewiss, sagt Prof. Dr. Thomas Welskopp (siehe weiteren Text auf dieser Seite).
Das Austauschprogramm der Bielefelder Historiker hat mittlerweile seine eigene Geschichte: Es existiert seit 22 Jahren. Vor einiger Zeit ist ein Student gleich dageblieben, wurde Professor in North-Carolina. Ganz so weit sind Elisabeth Schwinge und Friederike Brühöfener (noch) nicht. Doch die Begeisterung für das Studium in Baltimore ist riesengroß.
»Die Professoren behandeln hier einen als Ýkleinen ForscherÜ, die Diskussionen in den Seminaren sind sehr lebendig«, erzählt Friederike Brühöfener. »Verstecken kann man sich in den kleinen Gruppe nicht. Das will aber auch keiner.«
Die Bielefelder Universität sei mit der Privat-Uni »Johns-Hopkins« zwar nicht vergleichbar, meint Elisabeth Schwinge. Doch ein bedeutender Unterschied liege auf der Hand. »Wenn in Bielefeld in einer als Seminar angekündigten Veranstaltung 50 oder gar 100 Studenten sitzen, wird diese schnell zur Vorlesung. Richtige Diskussionen und intensives Arbeiten sind dann kaum möglich.« Beeindruckend sei auch das hohe Maß an Arbeitsbereitschaft. »Die Seminarlektüre nicht zu lesen - das gibt's hier einfach nicht.«
Wenn die beiden Bielefelder Studentinnen nicht gerade in der Bibliothek sitzen, verbringen sie Zeit mit ihren Kommilitonen oder gehen auf Reisen. Schließlich erreichen die berühmten Greyhound-Busse New York (»Hier pulsiert das Leben!«) in vier Stunden. Wenn Johns-Hopkins-Studenten in Baltimore unterwegs sind - ob Party oder Lesesaal - können sie sicher sein, dass die universitätseigenen Bullis sie bis drei Uhr nachts nach Hause bringen. »Eine sehr praktische Sache«, meint Elisabeth Schwinge.
Nur noch wenige Wochen, dann müssen die Beiden vor der versammelten Fakultät über ihr 40-seitiges »First-Year-Paper« diskutieren. Nervös? Nein! »Wir freuen und drauf.« Elisabeth Schwinge spricht über die »Rezeption der späten römischen Republik in der amerikanischen Verfassungsdebatte 1787/1788« und Friederike Brühöfener über die »Konstruktion soldatischer Männlichkeit während des Zweiten Weltkriegs«.
Das Urteil über das Auslandsstudium steht bereits vor der Rückkehr fest. »Es ist eine tolle Erfahrung«, sagt Elisabeth Schwinge. Sorgen und Angst müsse man sich keinesfalls machen. »Die Uni kümmert sich um alles. Es gibt sogar Einführungskurse, die einem Tipps zum Einkaufen geben.«
uni-bielefeld.de/
geschichte/kooperation.htm

Artikel vom 04.04.2006