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Eine Landschaft, wie nur
drei Mal auf dieser Welt
Überwältigende Eindrücke am Li-Fluss - trotz beginnenden Massentourismus'
Eine Landschaft wie ein Gemälde, eine Idylle, die Besucher derart gefangen nimmt, dass sie selbst den Massentourismus nicht mehr wahrnehmen, sondern vollends versinken in der Betrachtung dieser Schönheit und dem Genuss der Leichtigkeit.
Viele Vergleiche sind für die Karstlandschaft am südchinesischen Li-Fluss gefunden worden, doch Worte können kaum die Magie einfangen, die den Betrachter umhüllt, ihn den Rest der Welt für ein paar Stunden vergessen lässt. Nur 437 Kilometer legt der Li-Fluss zurück, durchfließt Guilin, Yangshuo, Pingle und Wuzhou, bevor er in den Perlfluss mündet. Die schönste Strecke ist der mehr als 80 Kilometer lange Abschnitt zwischen den erstgenannten beiden Orten, die heute mehr oder weniger vollständig vom Tourismus leben.
Die Schiffe legen beinahe im Minutentakt in Zhujiang ab. Eine Autobahn verbindet den schläfrigen kleinen Ort mit dem Wirtschaftszentrum Guilin. So spart man etwas Zeit, denn das Wasser ist unberechenbar. Der Li-Fluss ist nicht einfach zu befahren. Oft führt er Niedrigwasser, weniger als 60 Zentimeter dürfen es in der Hauptfahrrinne allerdings nicht sein. Nähert sich der Wasserstand dem kritischen Wert, so dauert die Fahrt manchmal fünf Stunden und mehr. Bei Hochwasser »rast« das Boot in drei Stunden durch das Paradies.
Man kann es auf einen einfachen Nenner bringen: »Oben ist der Himmel, unten ist Guilin, die Stadt der Duftblüten.« Und in der Tat sehen die Touristen, die mit dem Veranstalter Studiosus mehr als drei Wochen durch das Reich der Mitte reisen, ihren Aufenthalt in der Stadt am Li-Fluss als einen der Höhepunkte an. Schließlich will man mit eigenen Augen sehen, was Generationen von Malern mit Pinsel und Tusche auf Rollbildern verewigt haben.
Guilin liegt inmitten von sagenumwobenen höhlenreichen Turmkarstfelsen, die sich in Flüssen und Seen widerspiegeln. Vor 200 Millionen Jahren bedeckte der Ozean diese Region, so lagerte sich nach und nach Muschelkalk ab. Als sich das Meer zurückzog, begann ein bis heute währender Prozess: Die Kalkablagerungen brachen auf, schichteten sich um und erhielten durch Erosion ihr aktuelles Aussehen. Keine gewaltige Schlucht wie am Yangzi säumt den Fluss, sondern riesige Felsen stehen in der Landschaft. Manche sind tumb und bucklig, andere schlank und spitz. Drei Regionen gibt es in der Welt, die dieses Landschaftsbild bieten: Die Küste von Krabi in Thailand, die vietnamesische Halong-Bucht - und die Landschaft am Li-Fluss.
Acht Millionen Passagiere jährlich, das macht pro Tag einen Schnitt von fast 22 000. Da China bislang wenig Individualtourismus kennt, sind es fast nur organisierte Reisegruppen, das macht das Geschäft übersichtlich. Und es ist fest in der Hand einer Staatsfirma, die keine Konkurrenz zulässt. Noch werden am Li-Fluss keine Extrawürste gebraten, herrscht die Einklassen-Gesellschaft ohne Luxus. Na gut: Zweiklassen-Gesellschaft, denn die Boote für die chinesischen Besucher sind nicht ganz so schön wie die für die Ausländer, wie zum Beispiel die Studiosus-Gruppen.
Die Kapazität der Schiffe ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft, denn noch fahren die Passagiere nur in einer Richtung von Zhujiang nach Yangshou - und die Schiffe leer zurück. Das dürfte sich irgendwann ändern. Denn der Tourismus beginnt, sich der gesamten Region zu bemächtigen. Schon werden in Yangshuo ergänzende Ausflüge per Fahrrad oder Minibus angeboten. Durch kleine Dörfer und vorbei an Reisfeldern geht es durch die Zauberlandschaft.
Auch dieses Geschäft ist perfekt organisiert. Da warten Bauern mit Wasserbüffeln als Fotomotiv, natürlich tauchen beim Fotostopp auch die nervenden Postkarten- und Getränkehändler auf. Man darf eine Bauernfamilie besuchen, die natürlich ihren Anteil am Gesamtpreis der Fahrt erhält. Dringende Empfehlung: Man sollte dort, wo auf einem unbefestigen Weg gefahren wird, den Stopp bei der Bauernfamilie nutzen, um der Gruppe zu Fuß zu enteilen. Man kann sich dann später von der Minibus-Karawane einholen und aufpicken lassen. Das beschert (noch) das einmalige Erlebnis, zumindest eine halbe Stunde allein die Stille der Natur zu genießen.
Doch in den Dörfern der Region herrscht Aufbruchstimmung. Noch sind es nur wenige Herbergen für unerschütterliche Rucksacktouristen, die Unterkunft bieten. Aber das Gebiet ist geradezu prädestiniert, um sich rasant zu entwickeln. Eine Frage der Zeit, wann die ersten Ferien-Resorts ihren Gästen Kajaktouren, Wanderungen, Klettertouren und Radausflüge oder gar Golf bieten...
Thomas Albertsen

Artikel vom 08.04.2006