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Olmert verspricht Israelis
ein neues Nahost-Kapitel

Bis 2010 die endgültige Grenzziehung im Westjordanland

Von Carsten Hoffmann
Tel Aviv (dpa/Reuters). Nach einem glanzlosen Sieg bei der israelischen Parlamentswahl hat der amtierende Ministerpräsident Ehud Olmert die Palästinenserführung zu neuen Friedensgesprächen aufgerufen.

Als politischer Erbe von Ariel Scharon und Vorsitzender seiner Partei Kadima verspricht Olmert den israelischen Wählern, für die kommenden Jahre ein neues Kapitel im Nahost-Konflikt aufzuschlagen.
»Wir sind zum Kompromiss bereit«, rief Olmert noch in der Wahlnacht an die Adresse von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gerichtet. Die Palästinenser müssten im Gegenzug akzeptieren, dass nur ein Teil ihres Traumes von einem Staat im Westjordanland und dem Gazastreifen verwirklicht werde. Sie müssten zum Frieden bereit sein.
Olmert will in den kommenden vier Jahren im besetzten Westjordanland eine israelische Staatsgrenze ziehen und dabei das Gebiet der großen jüdischen Siedlungsblöcke annektieren. Israel beansprucht zudem das Jordan-Tal im Grenzgebiet zu Jordanien für sich. Dafür sollen aber die jüdischen Siedlungen im zentralen Westjordanland abgebaut werden.
Diesen Plan will Olmert notfalls auch einseitig, ohne Verhandlungen mit den Palästinensern, durchsetzen. Nach dem Sieg der radikal-islamischen Hamas bei der palästinensischen Parlamentswahl, deren neue Regierung am Vortag vom Parlament gebilligt wurde, hat Israel Kontakten mit der palästinensischen Regierung sowieso eine Absage erteilt.
Doch das Ergebnis der israelischen Parlamentswahl hat die politische Landschaft im Nahen Osten verändert. Israelis und Palästinenser stehen vor der Entscheidung zwischen einer neuen Eiszeit und dem Verhandlungsweg, ohne dass schon klar wäre, unter welchen Umständen beide Seiten neue Gespräche aufnehmen könnten. Die israelische Regierung hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der immer wieder neue Friedensverhandlungen fordert, bisher die kalte Schulter gezeigt.
Die Hamas hat bereits klar gemacht, dass Olmerts Plan keine Verhandlungsgrundlage sein kann. Auch Diana Butto, bisher palästinensische Regierungsberaterin, warnt: »Dieser ist kein Mittel für einen Frieden, es ist ein Rezept für einen künftigen Konflikt.« Schließlich wolle Israel die Kontrolle im Westjordanland behalten und die Grenzübergänge nach Jordanien kontrollieren. Die Palästinenser wollen aber nicht eingekreist und in Kantone gedrängt werden.
In Israel wird der Wahlsieg Olmerts inmitten der Diskussion um einen weiteren Abbau jüdischer Siedlungen aber als Friedenssignal der Wähler verstanden, weil die rechten Parteien insgesamt gesehen geschrumpft sind und der Vorsitzende des Likud-Blocks, Benjamin Netanjahu, eine schmerzliche Niederlage erlitten hat. »Bibi Netanjahu wollte ein Referendum. Er hat es bekommen. Das Volk will nicht an den besetzten Gebieten festhalten, es unterstützt einen weiteren Rückzug«, schrieb die Tageszeitung »Jediot Achronot«. Das Mandat für seine Pläne im Westjordanland sei aber weniger deutlich ausgefallen, als erhofft, meinte ein Kommentator.
Kadima ist zwar stärkste politische Kraft, blieb mit nur 28 Abgeordneten in der 120 Sitze zählenden Knesset aber weit hinter den Erwartungen zurück. »Ehud Olmert hat eins auf die Nase bekommen«, schrieb das Blatt. »Die Wähler haben ihn und seinen Plan akzeptiert, aber ohne Begeisterung. Er und seine Partei müssen für eine stabile Regierung und ihr Ansehen hart arbeiten.«
Die sozialdemokratische Arbeitspartei unter Führung von Amir Perez ist mit 20 Sitzen zweitstärkste Kraft und wahrscheinlicher Koalitionspartner von Kadima. Die mit 13 Mandaten drittstärkste Fraktion im neuen israelischen Parlament stellt die ultraorthodoxe Schas-Partei vor der Partei des ultra-nationalen Avigdor Liebermann, Israel Beitenu (Unser Haus Israel) mit 12 und dem Likud-Block von Benjamin Netanjahu mit 11 Sitzen.
Der Zusammenschluss der rechtsorientierten Fraktionen NRP/NU erhielt neun, die Rentnerpartei kam aus dem Stand auf sieben Sitze. Das Vereinigte Thora- Judentum erhielt sechs und die links-liberale Merez-Partei vier Sitze.
Die arabischen Parteien kommen auf zusammen 10 Sitze. Ein Fünftel der Israelis sind Moslems. Olmert wolle die Schas-Partei und die Rentnerpartei in eine neue Koalition einbinden, berichteten israelische Medien. Ein solches Bündnis hätte im Parlament eine Mehrheit von 68 Sitzen.

Artikel vom 30.03.2006