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»Im Zweifel entscheiden die Eltern«

Schulministerin stellt Gesetz vor - Augenmerk auf Vernachlässigung

Von Reinhard Brockmann
Düsseldorf (WB). Eltern wollen für ihr Sprösslinge meist die beste Schule, selbst wenn es an Begabung mangelt. Andere trauen ihren Kindern höhere Schulbildung nicht zu, weil sie selbst später nicht mehr helfen können. Beide Fälle will das neue Schulrechtsänderungsgesetz besser regeln.

Die Begabung eines Kindes zu 100 Prozent richtig einzuschätzen, das traut sich selbst die Schulministerin nicht zu. Dabei sagt Barbara Sommer (CDU) von sich, sie habe 50 Jahre Erfahrung als Schülerin, Lehrerin, Mutter von fünf Kindern und Schulrätin im Kreis Gütersloh.
Die Landesregierung bringt nach einer äußerst kontroversen Anhörung von Experten nunmehr ein System für die Schulwahlempfehlung auf den Weg, bei dem am Ende nur noch ganz wenige strittige Fälle übrig bleiben, sagte Sommer gestern in Düsseldorf. »In einer Großstadt wie Bielefeld sind das vielleicht zwei Fälle pro Jahr.«
Die Zahl muss sich in der Praxis noch erweisen. Sie dürfte dann auch nur deshalb klein ausfallen, weil das Gesetz an dieser Stelle kräftig nachgebessert wurde. Neben der erstrangigen Empfehlung beispielsweise für die Realschule könnte es vom nächsten Schuljahr an heißen »Peter ist mit Einschränkungen auch für das Gymnasium geeignet.« Sollte dieses »Vielleicht«, nannte Sommer ein Beispiel, auf einer Rechenschwäche beruhen, könnte Peter ein Gymnasium besuchen, das auf solche Schüler eingestellt ist.
Dieses spezielle Angebot sollten die Schulen von sich aus machen. Sommer sagte gestern auch »im Zweifel entscheiden die Eltern«, und »es zählt der Elternwille. Sie fügte nicht hinzu: »...in der Regel«, so wie es ein Regierungssprecher am Rande bemerkte. Nur wenn ein Kind abweichend von der Hauptempfehlung und dem »eventuell geeignet« jene Schulform besuchen soll, von der Grundschule und weiterführende Schule dringend abraten, dann kommt es zum Prognoseunterricht. Erst danach zählt letztlich der Lehrer- und nicht der Elternwille.
Nicht das allerletzte Wort haben die Schulen im umgekehrten Fall, wenn Eltern ein äußerst kluges Mädchen dennoch zur Hauptschule schicken wollen. Auch dann gebe es Beratungen und Prognoseunterricht als Angebot, aber mehr als Appelle an die Einsicht seien nicht zulässig, hieß es.
Zum Bemühen um mehr Durchlässigkeit gehört auch, dass in der Sekundarstufe I zum Ende der ersten vier Halbjahre und danach jährlich ständig neu geprüft werden muss, ob ein Kind an eine höhere Schulform wechseln kann.
Das Schulrechtsänderungsgesetz gibt auch Lehrern und Eltern neue Pflichten auf. Wegen sich häufender Fälle soll die Schule »jedem Anschein von Vernachlässigung nachgehen und rechtzeitig über die Einbeziehung des Jugendamtes oder anderer Stellen entscheiden,« heißt es im Paragrafen fünf. Noch bevor es zu Ordnungsmaßnahmen kommt, soll bei Schulmüdigkeit und häufigem unentschuldigten Fehlen ein erster Hinweis an das Jugendamt erfolgen.
Auf Anregung der Landeselternschaft Grundschule sollte jedes vierjährige Kind dem vorschulischen Sprachkurs nicht nur folgen, sondern sich auch daran beteiligen können. Wird das Kind von den Eltern nicht dorthin geschickt, ist ein Bußgeld fällig.
Wie sie Noten geben und nach welchen Maßstäben Lehrer Beurteilungen vornehmen, sollen diese nunmehr auch den Eltern erläutern. Nach Ansicht der Katholischen Elternschaft Deutschlands gab es bislang ein Defizit auf diesem Gebiet. Die Interessenvertretung hat die Pflicht zur größeren Transparenz im Wege der Verbändebeteiligung ins Gesetz rücken können.

Artikel vom 30.03.2006