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Weißbier und alte Schubladen

Der Niederbayer in Niedersachsen: Wolfsburgs Trainer Klaus Augenthaler

Von Klaus Lükewille
Wolfsburg (WB). Vilshofen. München. Graz. Nürnberg. Das waren noch Stationen, die zu ihm passten. Aber dann: Leverkusen. Und jetzt: Wolfsburg. Aus dem tiefen Süden über den Westen in den hohen Norden. Ein Niederbayer in Niedersachsen - wie geht das?

Bisher nicht so besonders gut. Klaus Augenthaler (48) hat in den vergangenen Wochen ein paar Falten zugelegt. Denn die Liga-Lage des VfL Wolfsburg ist ernst. Vor dem Rückrundenstart übernahm er die Mannschaft, zurzeit steht sie auf Platz 15. Nur einen Rang tiefer beginnt die Abstiegszone.
Vorsicht, Rutschgefahr! Und Augenthaler weiß, dass er an diesem Samstag im Heimspiel gegen den MSV Duisburg einen »Dreier« landen muss. Das 0:0 gegen den FC Bayern München und das 2:2 zuletzt beim FC Schalke 04, das waren für ihn »Bonuspunkte«. Zwei Zähler, die er vorher nicht einkalkuliert hatte.
Aber ein Sieg gegen Duisburg, der ist Pflicht - sonst könnte es in Wolfsburg ins Auge gehen.
Trotz Augenthaler.
Ein Trainer, der in dieser Stadt immer noch nicht so richtig angekommen ist. Wie er bei den offiziellen Pressekonferenzen aufläuft, im dunklen Sakko mit den VW-Emblem am Revers, das passt einfach nicht zu diesem Mann. Aber immerhin: Er sammelt ja jetzt Werksklub-Erfahrung. Von Leverkusen (Bayer) direkt weiter nach Wolfsburg (Volkswagen) - das schaffte vor ihm noch kein Trainer.
Das große Los war's bisher nicht. Mit »Auge« ging es abwärts, denn vor dem Rückrundenstart standen die »Wölfe« noch auf Platz 13, hatten damals 18 Punkte. Jetzt sind es 28. Nur zehn in zehn Spielen, nicht ganz viel.
Aber Kritik am Trainer war bisher nicht zu hören. Alle Wolfsburger wissen: Hier hat einer ein schweres Erbe übernommen. Der vermeintliche Fußball-Fachmann Holger Fach und der tönende Manager-Anfänger Thomas Strunz, die stellten ihren Kader wie nach einem alten Kochrezept zusammen: Man nehme ...
Augenthaler muss diese Suppe jetzt auslöffeln. Sie schmeckt ihm nicht. Das sieht man. Auf den ersten Blick. Denn seit der Weltmeister von 1990 in Wolfsburg arbeitet, soll er erst zwei oder drei Mal gelächelt haben. Das würde zu dem Bild passen, das von Augenthaler seit Jahren gezeichnet wird. Ein Grantler, der wenig redet, viel Weißbier trinkt und Kette raucht.
Alles falsch. Sagt Augenthaler. »Die Journalisten haben mich in eine Schublade gesteckt, und da bin ich jetzt drin.« Er kann damit leben, ihn regt das nicht mehr auf. Denn: »Wer kennt mich schon genau? Nur meine Frau.«
Das ist niederbayrische Gelassenheit - und Klischee-Kritik. Erstens: Er trinkt lieber Rotwein als Weißbier. Zweitens: Grantler ist in seiner Heimat Vilshofen kein Name für komische Käuze, sondern eine normale Bezeichnung für Leute, die nicht mit jedem über alles sprechen wollen.
Wie Augenthaler. »Was soll ich lange reden? Die Spieler wissen doch, dass sie gegen Duisburg unbedingt gewinnen müssen. Wenn die jetzt nicht kapiert haben, um was es geht - wann dann?«
Ihn musste man damals beim FC Bayern nicht antreiben, keine Sekunde. Augenthaler über seine Profikarriere: »Ich weiß, ich war kein großes Talent. Aber ich hatte den absoluten Willen. Immer.«
Eine Einstellung, die er heute bei vielen Spielern vermisst. Die Fußball-Welt ist ihm ohnehin zu grell, zu schrill und zu großspurig geworden. Selbst in Wolfsburg, in der niedersächsischen Provinz.
Da hatten einige VW-Herren doch noch vor kurzem tatsächlich von der Champions League geredet. Für Augenthaler Visionen und Illusionen: »Drei bis vier Jahre brauche ich, wenn ich hier eine ordentliche Elf aufbauen soll.«
Aber so viel Zeit bekommt heute kein Liga-Trainer mehr. Fußball ist nun mal kein Geduldsspiel. Auch nicht in Wolfsburg. Doch Augenthaler mimt weiter den ganz Ruhigen, er bleibt gelassen. Wenn's nicht klappen sollte, na und? Dann wird er eben entlassen.

Artikel vom 01.04.2006