29.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Rahman ist gerettet, aber Afghanistans Dilemma bleibt

Schnelle Freilassung des Ex-Moslems kann neue Unruhen nach sich ziehen

Von Can Merey
Kabul (dpa). Im Schutz der Dunkelheit wurde Abdul Rahman am Montagabend heimlich aus dem berüchtigten Kabuler Hochsicherheitsgefängnis Pul-i-Charki geschleust.
Angeführt von Moslem-Geistlichen hatten 1000 Menschen in Masar-i-Scharif noch am Sonntag gegen Rahmans Freilassung demonstriert. In der nordafghanischen Stadt sind auch Bundeswehrsoldaten stationiert.
Nach Appellen westlicher Staaten ist der vom Islam zum Christentum übergetretene und von der Todesstrafe bedrohte Afghane Abdur Rahman aus dem Gefängnis entlassen worden. Radikale Talibanmitglieder riefen auch gestern weiter zur Tötung Rahmans auf. Fotos: Reuters

Als die Nachricht über seine Haftentlassung gestern durchsickerte, war der derzeit weltweit wohl bekannteste Konvertit bereits an einem sicheren Ort - unerreichbar für jene radikalen Muslime, die dem Christen den Tod wünschen. Rahmans Leben ist gerettet, die drohende Todesstrafe vom Tisch. Das Dilemma Afghanistans, der heikle Balanceakt zwischen Menschenrechten und Scharia, bleibt. Der brisante Fall war möglicherweise nicht der letzte seiner Art am Hindukusch.
Die plötzliche Freilassung Rahmans ist zweifellos auf den Druck des Westens zurückzuführen, der seit Bekanntwerden des Falls vor gut einer Woche immer stärker auf der afghanischen Regierung lastete. Zwar sagte Vize-Generalstaatsanwalt Mohammed Eschak Aloko, niemand habe versucht, Richter und Staatsanwälte zu beeinflussen. Ein Sprecher des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai wollte Rahmans neu gewonnene Freiheit aus lauter Respekt vor der »Unabhängigkeit der afghanischen Justiz« erst gar nicht kommentieren.
Doch hinter den Kulissen zählte die immerhin von der afghanischen Verfassung garantierte Gewaltenteilung offenbar nicht viel.
Ein Richter des afghanischen Verfassungsgerichts, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte, Karsai persönlich habe Rahmans Haftentlassung in einem Schreiben an das Gericht und an den Generalstaatsanwalt angeordnet. Der zuständige Richter schob den Schwarzen Peter daraufhin den Anklägern zu und verwies den Fall zurück an die Staatsanwaltschaft. Dort hieß es nun, unter dem zunehmenden Druck sei dem Generalstaatsanwalt gar nichts anderes übrig geblieben, als Rahmans Freilassung anzuordnen - was öffentlich freilich niemand zugeben will. Reichlich verworren klang die offizielle Erklärung des Vize-Generalstaatsanwalts, die wohl auch eher ein Versuch gewesen sein dürfte, das Gesicht zu wahren.
Aloko sagte, Rahman sei »krank« und mithin unzurechnungsfähig. Zwar rechnete auch Aloko nicht damit, dass Rahman nach dem Asylangebot Italiens im Einflussbereich der afghanischen Behörden bleiben könnte. Trotzdem, so Aloko, solle Rahmans Geisteszustand weiter untersucht werden - wie das in Abwesenheit Rahmans geschehen soll, blieb das Geheimnis des Anklägers. Ins Reich der Fantasie dürfte auch Alokos Idee gehören, Rahman über Interpol einfangen und wieder vor ein afghanisches Gericht bringen zu lassen, sollte sich irgendwie doch Rahmans Zurechnungsfähigkeit erweisen.
Rahman ist frei, Karsai ist den internationalen Druck erstmal los - doch sein Ruf im eigenen Land dürfte schwer gelitten haben. Die von zahlreichen Afghanen als überzogen empfundenen Drohungen und Proteste aus Europa und den USA haben den Fall auch in Afghanistan zu einem brisanten Politikum gemacht. Für die vielen radikalen Muslime im Land steht Karsai wieder einmal als Handlanger des Westens da, der dessen Wertvorstellungen über die Gesetze des Islam stellt. Wenn sich in Afghanistan erstmal herumgesprochen hat, dass der Konvertit nicht bestraft wurde, wird die Wut der Islamisten groß sein.
Die Probleme, die Karsai außerdem bleiben, sind der von konservativen Muslimen durchsetzte und als inkompetent verrufene Justizapparat - und eine Verfassung, die in sich widersprüchlich ist. Das Gesetzeswerk entstand als ein inzwischen fragwürdig erscheinender Kompromiss zwischen den Vorstellungen westlicher Geldgeber und denen traditioneller Muslime.
Weiterhin schreibt die Verfassung dem Staat die Achtung der Menschenrechte vor, die explizit auch die Freiheit, den Glauben zu wechseln, beinhalten. Zugleich stellt sie die Scharia, das muslimische Recht, über alles: Und darin bleibt die Todesstrafe für jene vorgesehen, die sich vom Islam abwenden.

Artikel vom 29.03.2006