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Kranführer chancenlos

Verheerender Tornado sorgt für Chaos in Hamburg

Hamburg (dpa). Den Tränen nahe sitzen zwei Bauarbeiter in einem Blechcontainer und klammern sich an ihre Kaffeebecher. »Sie hatten keine Chance«, sagt einer der Männer, die den Tod der beiden Kranführer im Tornado über Hamburg-Harburg hilflos miterleben mussten.
Wie eine Spindel schraubt sich die Spitze des Tornados aus dem Boden.

In kürzester Zeit richtete der Tornado mit weit mehr als Orkanstärke im Süden der Hansestadt Millionenschäden an, zwei Männer starben, zwei weitere wurden verletzt. Hunderttausende waren stundenlang ohne Strom.
Nur wenige Schritte von der Baubude entfernt, hinter einer Polizeiabsperrung aus rot-weißem Flatterband, liegen die Reste der gelben Hochbaukräne in bizarrer Verrenkung auf der Straße. Die Ausleger aus filigranem Stahlgerüst sind an den Dachkanten der Industriegebäude im Harburger Binnenhafen abgeknickt.
EDV-Leiter René Gräßler kommt in Begleitung eines Polizisten von der ersten Besichtigung des Firmengebäudes zurück, auf dessen Dach ein Kranausleger liegt. Zwei Mitarbeiter waren am Montagabend noch da, als ein Ausleger auf das Dach schlug. Sie blieben unverletzt. Jetzt müssen die Statiker anrücken, bis dahin darf niemand ins Haus.
Die Schneise der Verwüstung zieht sich zwei Kilometer durch den Harburger Binnenhafen. Meterdicke Baumriesen liegen abgebrochen und von der Feuerwehr zersägt wie zum Abholen bereites Kaminholz am Straßenrand.
Die Hochspannungsleitungen bieten ein bizarres Bild. Wie zum Trocknen aufgehängte Stoffstreifen hängen 15 Meter lange Dachbahnen aus silbrig glänzendem Aluminium über den Stahlkabeln und schaukeln im Wind. Ein Laternenmast liegt mehrfach genickt am Straßenrand - als wäre er aus billigem Draht.
»Das hörte sich so an, als ob ein Flugzeug auf dem Hof landen wollte«, beschreibt Andreas Aldag die Szene. Er war an seinem Arbeitsplatz in einer Lagereifirma. »Ich stand am Fenster, dann kamen Dachteile angeflogen. Ich bin in Deckung gegangen.« Sein ein Jahr älterer Kollege Uwe Kirsch beobachtete die Windhose von den Elbbrücken aus. »Ich habe ein Dachteil in ein Wohnmobil reinstechen sehen.« Das sei dann umgefallen.
An der alten Harburger Elbbrücke liegt eine Halle mit Segel- und Motoryachten in Trümmern. Stahlträger begraben die wertvollen Boote unter sich. Manche Besitzer stehen an der Absperrung und blicken sorgenvoll auf das Trümmerfeld. Wie hoch die Schäden sind, lässt sich nicht abschätzen, erst müssen Bergungskräne anrücken. Nebenan stehen alte Rotklinkerhäuser, die aussehen wie nach einem Bombenangriff.

Artikel vom 29.03.2006