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Weltmeister heißt Pakistan
Die weitaus meisten Fußbälle werden in der Region Sialkot hergestellt
Benjamin staunt: Als gebe es nichts Wichtigeres in Deutschland, reden alle nur noch vom Fußball. Dabei sind es bis zum Beginn der Weltmeisterschaft noch zwei Monate.
Kriegt Nationaltrainer Jürgen Klinsmann seine Männer noch fit? Welchem der beiden Weltklasse-Torhüter, Lehmann oder Kahn, gibt er den Vorrang? Werden »Poldi« und »Schweini« bei der WM in ähnlich guter Form auflaufen wie während des »Confed«-Cups im vergangenen Sommer?
Fragen über Fragen, und alle drehen sich um das runde Leder. Benjamin, der jeder Sache gern auf den Grund geht, möchte gern wissen, wo der Fuß- und andere Bälle hergestellt werden. Die Antwort überrascht ihn: Von zehn Lederbällen, die auf der Welt zum Einsatz kommen, werden sieben bis acht im Raum Sialkot im Nordosten Pakistans produziert. Pakistan wiederum liegt in Südasien und ist ebenso wie Thailand - das zweite Land, in dem ebenfalls Fußbälle hergestellt werden -Êweit davon entfernt, selbst ein Team zur WM nach Deutschland schicken zu können. Dabei sind die Pakistanis aber nicht unsportlich, wie die großen Erfolge ihrer Cricket- und Hockey-Mannschaften beweisen.
Benjamin wundert sich: Warum werden so viele Bälle ausgerechnet in einem Land produziert, das diese selbst gar nicht nutzt? Die Antwort erhält er von einem Unternehmer: Pakistan ist ein armes Land mit sehr, sehr niedrigen Löhnen. Da ist es billiger, die Bälle dort nähen zu lassen und sie anschließend per Schiff überallhin auszuliefern.
Einen guten Ball zu nähen braucht es länger als ein Fußballspiel, nämlich fast zwei Stunden. Insgesamt werden die 32 fünf- bzw. sechseckigen Waben von 690 Nadelstichen festgehalten. Als Belohnung erhalten die Arbeiter so wenige pakistanische Rupien, dass sie davon kaum ein Kilo Reis -Êihr Hauptnahrungsmittel -Êkaufen können.
Bei der Nachfrage, warum die Löhne in Pakistan so niedrig sind, stößt Benjamin darauf, dass es in Sialkot kaum andere Arbeitsplätze gibt. Bis 1997, als das so genannte »Atlanta-Abkommen« abgeschlossen wurde, war sogar Kinderarbeit bei der Fußball-Herstellung in sehr starkem Maße verbreitet. Kinderarbeit gibt es in Pakistan weiterhin - jetzt allerdings überwiegend in der Textilindustrie, in Landwirtschaft, Steinbrüchen und als Bedienungspersonal in den Haushalten der reicheren Leute.
Wer sicher gehen will, dass die Arbeiter wenigstens einigermaßen fair bezahlt werden, kauft einen Fußball mit dem »Fairtrade«-Zeichen. Organisationen wie Misereor und Brot für die Welt achten darauf, dass die 600 Näherinnen und Näher beim pakistanischen Hersteller Talon unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten und fair bezahlt werden. Die Gepa verkauft die Bälle im Internet (www.gepa3.de) und in Dritte-Welt-Läden. Bernhard Hertlein

Artikel vom 08.04.2006