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Gegen weitere Einsparungen

Steinbrück: Konjunktur nicht gefährden - Höhere Mehrwertsteuer kommt

Berlin (dpa/Reuters). Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat Forderungen nach weiteren Sparanstrengungen in diesem Jahr eine klare Absage erteilt. Mehr Kürzungen gefährdeten die sich erholende Konjunktur, sagte Steinbrück gestern zu Beginn der Haushaltsberatungen des Bundestages.
Bundesbank, Wirtschaftsforscher und die Opposition hatten zuvor die Regierung aufgefordert, angesichts guter Konjunkturaussichten schneller und stärker zu sparen und das Defizit schon 2006 zu senken.
Steinbrück stellte zugleich klar, dass an der für 2007 geplanten Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent nicht gerüttelt werde - auch bei höheren Steuereinnahmen als erwartet. »Wir haben die Erhöhung der Umsatz- und der Versicherungssteuer beschlossen - und dabei bleibt es«, sagte Steinbrück. Unionspolitiker sprachen von einer beachtlichen Einführungsrede des Finanzministers. Steinbrück habe die Koalitionsvereinbarungen exakt umgesetzt.
Die Opposition warf der Koalition vor, in der Finanzpolitik keinen Kurswechsel vorzunehmen. »Noch mehr Schulden, höhere Steuern und keine Korrekturen bei den Ausgaben«, kritisierte die FDP. Aus Sicht der Grünen und der Linkspartei ist die schwarz-rote Koalition weit von Haushaltskonsolidierung entfernt. Die »brachiale« Erhöhung der Mehrwertsteuer gefährde den Aufschwung. Die Haushalts- und Finanzpläne sollen Ende Juni verabschiedet werden.
Steinbrücks Etatplan für 2006 sieht bei Gesamtausgaben von 261,7 Milliarden Euro neue Schulden von 38,3 Milliarden vor. Das sind sieben Milliarden mehr als im Vorjahr. Die Nettokreditaufnahme liegt zudem deutlich über den Investitionen, was laut Grundgesetz nur in Ausnahmen erlaubt ist. Die Koalition will mit neuen Schulden in diesem Jahr zunächst Wachstum und Beschäftigung ankurbeln. Im kommenden Jahr wollen Union und SPD die Defizitkriterien des Euro-Stabilitätspaktes wieder einhalten. »Ob dies schon in diesem Jahr gelingt, mag im Zuge einer günstigen Wirtschaftsentwicklung gelingen. Ich würde mich freuen«, sagte Steinbrück.
Wie im Vorjahr ist für 2006 bisher ein Defizit von Bund, Ländern, Kommunen und Staatskassen von 3,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes unterstellt. Die EU-Kommission hat das Strafverfahren gegen Berlin verschärft.
Erst im nächsten Jahr soll die Defizitquote deutlich unter die Grenze von 3,0 Prozent gedrückt werden. Von 2007 an sollen auch die Vorgaben des Grundgesetzes wieder eingehalten werden. Den größten Beitrag soll die Mehrwertsteuererhöhung leisten. Sie ist Teil des Haushaltsbegleitgesetzes und soll Mehreinnahmen von jährlich bis zu 23 Milliarden Euro bringen. Ein Teil soll zur Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung genutzt werden. Das gesamte Sparpaket soll die Staatskassen bis 2009 um 117 Milliarden Euro entlasten.
FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin nannte die Finanzpläne der Koalition »die Taschenbuchausgabe der früheren Haushaltspläne« von Ex-Minister Hans Eichel (SPD). Nach Aussage der Grünen-Expertin Anja Hajduk ist es kein Kraftakt, wenn nur einseitig auf Steuer-Mehreinnahmen gesetzt werde. 32 Milliarden Euro Ausgabenkürzungen bis 2009 seien ein »Verschiebebahnhof« zu Lasten der Sozialkassen. Gesine Lötzsch von den Linken nannte die Mehrwertsteuererhöhung »den nächsten Umverteilungscoup« von unten nach oben.
Wirtschaftsforscher rechnen in diesem Jahr mit steigenden Steuereinnahmen. Das Aufkommen könnte um sechs Milliarden höher ausfallen als bisher prognostiziert.

Artikel vom 29.03.2006