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Jürgen Borchert

»Dahinter verbirgt sich ein Kinderlosenschonprogramm der verlogensten Sorte«.

Leitartikel
Etikettenschwindel

Ein »Soli« zugunsten Kinderloser


Von Jürgen Liminski
Jetzt soll es also ein Kinder-Soli richten. Man traut sich noch nicht so recht, die Katze aus dem Sack zu lassen. Kein Gremium habe darüber geredet oder ähnliches beschlossen, hört man von CDU-Generalsekretär Pofalla.
Aber in Berlin pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass in den Küchenkabinetten diese Idee zur Sanierung des Gesundheitswesens schon lange diskutiert wird. Die kostenfreie Behandlung von Kindern sei eine sachfremde Leistung der kapitalgedeckten Krankenkassen, argumentiert das SPD-Gesundheitsministerium.
Deshalb sollte nicht die Kasse, sondern müsse die Allgemeinheit für die Kinderkosten aufkommen. Das geschehe am besten mit einem Solidaritätszuschlag - wie bei der Förderung Ost. Das Ganze ist Etikettenschwindel.
Die kostenfreie Behandlung von Kindern ist keineswegs sachfremd. Kinder sichern als künftige Beitragszahler die Zukunft des Systems. Ihre Behandlungskosten liegen erstens weit unter denen der älteren Generationen (auf die Rentner entfallen inzwischen mehr als 50 Prozent der Ausgaben), und zweitens sind das keine Kosten, sondern Investitionen in die Zukunftssicherung. Das Schlimmste aber ist: Dieser Reformansatz ist ein glatter Verfassungsbruch.
Er widerspricht diametral den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu den Trümmerfrauen von 1992 und zur Pflegeversicherung von 2001. Dort haben die Richter darauf hingewiesen, dass die Erziehung von Kindern »beitragsäquivalent« sei, dass also die Eltern mit der Erziehung schon einen Beitrag zur Bestandserhaltung des Systems leisteten, was mit dem finanziellen Beitrag zu verrechnen sei. Das haben die Fraktionen der großen Parteien auch anerkannt und vorgeschlagen, Freibeträge je nach Kinderzahl bei den Umlagesystemen wie Renten, Pflege, Krankenkassen einzuführen.
Jetzt will man davon nichts mehr wissen und sieht im KinderSoli eine Möglichkeit, den Familienbürger wieder zu schröpfen.
Für den Darmstädter Sozialrichter Jürgen Borchert ist klar: »Hinter der angeblich familienfreundlichen Fassade verbirgt sich ein Kinderlosen-Schonprogramm verlogenster Sorte.«
Eigentlich müsste die neue Abgabe nicht Kinder-Soli sondern Kinderlosen-Soli heißen. Denn sie begünstigt die Kinderlosen, deren Einkommensabstand zu den Eltern dadurch erneut verfassungswidrig wachsen wird. Zusammen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer dürfte dieser Soli den Binnenkonsum im nächsten Jahr völlig zum Erliegen bringen.
Immerhin sind in den letzten Jahrzehnten die Steuern noch nie so rabiat erhöht worden. Man kann wohl damit rechnen, dass diese Reform spätestens in Karlsruhe scheitert.
Aber in der Zwischenzeit müssen die Familien mal wieder bluten. Eigentlich sollte man jede Zahlung in die maroden Systeme nur noch unter juristischem Vorbehalt vornehmen - bis eine Reform kommt, diese Bezeichnung auch verdient.

Artikel vom 29.03.2006