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Ärzte lassen Politiker warten

Vor der Behandlung zunächst zweistündige Diskussion mit Patienten geplant

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik sollen Haus- und Fachärzte bundesweit Politiker aller Parteien im Krankheitsfall erst mit Verzögerung behandeln.
Ernst-Rüdiger Osterhoff: Proteste gehen weiter.
Bundes- und Landespolitiker sowie Kreistagsabgeordnete sollen von der nächsten Woche an im Wartezimmer zunächst zwei Stunden und länger die Gelegenheit erhalten, mit den Patienten ins Gespräch zu kommen. Ausgenommen sind akute Notfälle.
Am Samstag, 1. April soll die außerordentliche Hauptversammlung des Verbandes der niedergelassenen Ärzte Deutschland (NAV Virchow-Bund) in Köln auf Antrag des Landesverbandes Westfalen-Lippe eine entsprechende Empfehlung an Haus- und Fachärzte beschließen. Das Bonus-Malus-Gesetz, das zum 1. April in Kraft trete, sei nur einer der Tropfen, die das Fass zum Überlaufen gebracht hätten, sagte der stellvertretende NAV-Landesvorsitzende in Westfalen-Lippe, Dr. Ernst-Rüdiger Osterhoff aus Preußisch Oldendorf (Kreis Minden-Lübbecke), gestern dieser Zeitung. Mehr als 90 Prozent der Bürger lehnten das neue Gesetz ab. Darüber sollte in den Wartezimmern mit den Politikern diskutiert werden. Nach dem Arzneimittelspargesetz drohe Ärzten ein Honorarabschlag, wenn sie zu teure Medikamente verordneten. Auf der anderen Seite gebe es für Ärzte, die am Patienten sparten, einen Bonus.
Nach Angaben des Bundesvorsitzenden des NAV-Virchow-Bundes, Maximilian Zollner, werde Praxisärzten ferner seit Jahren die Vergütung für 30 Prozent der erbrachten Leistungen vorenthalten. Für einen in der Nacht durchgeführten Hausbesuch erhalte ein Arzt nur 24 Euro.
Auf Antrag des Landesverbandes Westfalen-Lippe soll die Hauptversammlung am Samstag auch eine Empfehlung an die Chefärzte der Krankenhäuser beschließen. In den Kliniken sollen nach dieser Empfehlung zukünftig Politiker keinerlei bevorzugte Behandlung mehr genießen. Genauso wie AOK-Patienten sollten auch Politiker in überfüllten Krankenhäusern in Abstellräumen, Arztzimmern, Patientenaufenthaltsräumen oder auf dem Flur auf ihre Behandlung warten, sagte Osterhoff. Freiwerdende Einzel- oder Doppelzimmer sollten den gesetzlich versicherten Kassenpatienten bevorzugt zur Verfügung gestellt werden.
In Ostwestfalen-Lippe wollen viele Ärzte morgen bis Freitag ihre Praxis schließen, um Verwaltungsarbeiten erledigen zu können. Die zunehmende Bürokratie sei den Medizinern von Krankenkassen und der Politik aufgedrückt worden, sagte Dr. Michael Prange vom Ärztenetz im Kreis Gütersloh dieser Zeitung. Ein Notdienst sei eingerichtet.
Ein erneuter bundesweiter Protesttag der Ärzte ist für Freitag, 19. Mai vorgesehen. Bereits am vergangenen Freitag waren in Berlin mehr als 30 000 Praxis-Ärzte gegen die Einsparungen im Gesundheitswesen auf die Straße gegangen.

Artikel vom 28.03.2006