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Volksmund

»Wie sich der kleine Moritz die Welt-
geschichte vorstellt,
genauso ist sie.«

Leitartikel
Schwere Hypotheken

Wahrheit und Recht -
nicht teilbar


Von Rolf Dressler
Sonntagsredner, ob Politikschaffende oder andere Funktionsträger, sind bisweilen sonderbare Kauze. Deshalb ist füglich mit Vorsicht zu genießen, was sie als angeblich gefestigte oder gar unumstößliche Erkenntnis zum Besten geben.
Ganz besonders auffällig drehen und wenden sie sich immer dann, wenn volltönend das Hohelied der angeblich unverrückbaren Menschenrechte angestimmt wird. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür erlebt gegenwärtig zumindest der nicht nur beiläufig interessierte, sondern innerlich mitfühlende und mitleidende Teil der aufgeklärten Welt. Denn würde der Scharia, dem unerbittlich gestrengen islamischen Recht, buchstabengetreu Genüge getan, könnte sogar noch im Afghanistan des 21. Jahrhunderts ein Mann namens Abdul Rahman höchstrichterlich zu Tode gebracht werden, (nur) weil er sich während seiner Zeit in Deutschland aus freien Stücken von Allah und dem Koran gelöst und Jesus Christus und der Bibel zugewendet hatte.
Zwar keimt inzwischen immerhin die Hoffnung, dass Rahman die Hinrichtung erspart bleiben wird. Doch welch ein erbärmliches, entwürdigendes Machtspiel wird da getrieben, wenn Afghanistans Justiz und die wackelige Staatsführung in Kabul nun erwägen, den »Abtrünnigen« ersatzweise für »geistig nicht gesund« bzw. unzurechnungsfähig zu erklären? Soll heißen: Er wusste nicht, was er tat, als er zu den aus Moslem-Sicht sogenannten »Ungläubigen« überwechselte.
Eine finstere Methode, die, wie wir auch jetzt erneut schmerzlich erfahren müssen, offenbar immer wiederkehrt in der Menschheitsgeschichte.
Nur, wie und wann sollen Einsicht und Toleranzbereitschaft in den islamisch geprägten Völkern reifen, solange insbesondere das christliche und jüdische Glaubensbekenntnis, wie überhaupt alle nicht-islamischen Religionen, als Hort der »Ungläubigen« verketzert und angefeindet werden - und das auch noch unter ausdrücklicher Berufung auf den Propheten und den Koran? Grundlegend zum Guten verändern kann und wird sich wohl kaum etwas, bevor der Islam nicht endlich wahren Frieden macht mit allen Andersgläubigen dieser Welt, anstatt sie als »Ungläubige« zu schmähen.
Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert klipp und klar »jedermann das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit«. Und: Jeder Mensch kann »seine Religion oder Weltanschauung«, wann und wo auch immer, wechseln, wie es ihm beliebt. Zwei oder drei oder sonstwieviele Menschenrechts-Wahrheiten dürfte es demnach eigentlich gar nicht geben. Eigentlich!
Es gibt sie aber: Die Arabische Charta der Menschenrechte von 1994 und die Kairoer Erklärung von 1990 stellten alle UN-Menschenrechte unmissverständlich unter Scharia-Vorbehalt. Danach ist der Wechsel vom Islam zu an- deren Religionen verboten und steht sogar unter Todesstrafe.
Also doch zwei, drei oder vier Menschenrechts-Wahrheiten?

Artikel vom 28.03.2006