01.04.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Sterben zu Hause - immer noch Ausnahme von der Regel

330 Palliativ-Netzwerke aus Hausärzten, Spezialisten und Helfern geplant

Von Reinhard Brockmann
Bad Lippspringe (WB). Die Versorgung Todkranker soll besser werden und künftig häufiger zu Hause möglich sein. Derzeit sterben 70 Prozent der Deutschen in einer Klinik.
Der Tod kann sehr einsam sein - vor allem in einer Klinik fern der Familie. Dieses Archivbild aus einem Stuttgarter Hospiz versucht, auch das Engagement ehrenamtlicher Sterbebegleiter sichtbar zu machen.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will 330 Netzwerke fördern.
Im Kreis Paderborn sind die Vorbereitungen für die flächendeckende Betreuung für Ostwestfalen am weitesten gediehen. »Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die ambulante palliativmedizinische Versorgung aufzubauen«, sagte Professor Andreas Lübbe dem WESTFALEN-BLATT. Die von ihm geleitete Palliativstation in Bad Lippspringe versorgt schwerst-, meist krebskranke Patienten. In einem Netzwerk aus weitergebildeten Hausärzten und Pflegekräften soll das Bad Lippspringer Fachkrankenhaus eine ergänzende Funktion übernehmen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) beschreibt die neue Organisationsform so: »Palliativ Care Teams aus spezialisierten Ärzten und Pflegern haben primär die Aufgabe, Patienten mit erhöhtem Versorgungsbedarf zu betreuen, können aber auch in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hospizen versorgen.«
Die aus dem lateinischem Wort »pallium« für »Mantel« abgeleitete medizinische Querschnittsaufgabe gehöre, so Prof. Lübbe, »eigentlich in die Hände des Hausarztes«. Weshalb dennoch die meisten Menschen nicht daheim sterben dürfen, erklärt Dr. Gerhard Müller, Bezirkschef im Hochstift für die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe: Hausärzten seien bei einem Budget von rechnerisch 40 Euro pro Patient und Quartal häufige Hausbesuche bei sterbenskranken Patienten nicht möglich. Für teure Schmerzmedikamente fehle der Freiraum.
Ausgetretene Pfade müssten verlassen, neue Denkweisen gefunden werden, ergänzt Prof. Lübbe. Erfreulich positiv gestalte sich die Zusammenarbeit mit der AOK und der Barmer Ersatzkasse, die die Notwendigkeit zur Betreuung sähen. »Wenn dann auch noch die KV mitmacht und die Apotheker, wie es scheint, dann haben wir schon viel erreicht.« Die von ihm vorangetriebene Initiative will vorbereitet sein, wenn die Bundesregierung die von CDU und SPD verabredete Neuregelung trifft.
»Speziell im letzten Lebensabschnitt ist die gesundheitliche und pflegerische Versorgung in Deutschland zu verbessern«, heißt es im Koalitionsvertrag. Viele Menschen wünschten sich auch bei schweren Erkrankungen bis zuletzt, daheim versorgt zu werden.
Das Bundesgesundheitsministerium hat in Aussicht gestellt, einen Leistungsanspruch auf spezialisierte Palliativversorgung in das Sozialgesetzbuch V aufnehmen zu wollen und auch den Aufbau einer der ambulanten Palliativversorgung zu fördern. Dafür sollen jährliche 250 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
Die Umsetzung, sagt Andreas Deffner aus dem Bundesgesundheitsministerium dem WESTFALEN-LATT, habe bereits begonnen. Im Leistungs-, Vertrags- und Finanzierungsrecht der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung müsse derzeit eine Reihe von Regelungen zur besseren palliativmedizinischen Versorgung verankert werden. Ziel sei es, die Kosten »nicht-beitragsrelevant« zu decken. Das Geld könnte beispielsweise dadurch erwirtschaftet werden, dass Medikamente verstorbener Patienten nicht länger vernichtet werden müssten.

Artikel vom 01.04.2006