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Er hat so Õne Brechstange in der Hand, und sein Bruder, Rory, der hatte eine von diesen Fahrradpumpen aus Eisen, und wir hatten Holzlatten dabeiÉ«
»Entschuldige, darf ich mal kurz unterbrechen, äh, möchte jemand einen Schluck von diesem RigbertÕs? Der ist aus echten Loganbeeren undÉ«
»Hattest du keine Angst?«, sagte Laura atemlos.
»Ach was, wir sind da rein, zack, bumm É war nach Õn paar Minuten erledigt.« Er lehnte sich zurück, nippte an seinem RigbertÕs und sagte naserümpfend, mit napoleonischer Zufriedenheit: »Schätze, um den Idioten brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern.«
»Du bist vielleicht ein toller Hecht«, spöttelte Bel und kitzelte ihn am Ellbogen. Frank schaute ärgerlich.
»Aber wenn er dir irgendwo auflauert?«, platzte es plötzlich aus Laura heraus. Erschrocken legte sie die Hand auf den Mund.
»Das traut er sich nicht«, schnaubte Frank. »Der weiß genau, dass er dann wieder auf die Fresse kriegt, und zwar noch Õn bisschen strammer.«

L
aura antwortete mit einem lang gezogenen »Wow!« Sie schien dahinzuschmelzen. Es war ziemlich erotisch, trotz Laura, und kurz spürte ich den Stachel der Eifersucht.
»Wohnt bei seiner Oma«, sagte er verächtlich. »So ein Idiot.«
»Woher, um Himmels willen, hast du das denn, Charles?« Bel verzog angewidert das Gesicht. »Das ist ja ekelhaft.«
»Aus dem Keller. Ich glaube, Mutters Tante hat den mal mitgebracht, diese giftige alte Jungfer, die in dem Bootshaus lebt.«
»Irgendwas an dem Zeug schmeckt grässlich daneben.«
»Ist wahrscheinlich der ÝSchuss wilder RhabarberÜ. Mal was anderes, hab ich mir gedacht. Und die beiden da merken sowieso keinen Unterschied.« Ich nickte in Richtung unserer Gäste, die sich eifrig unterhielten und sich dabei gegenseitig fast an der Stirn berührten. »Macht dir das nichts aus?«
Bel lachte höhnisch. »Wie kann man auf einen Sack Styroporkugeln eifersüchtig sein?«
»Hmm.« Ich faltete die Hände und warf einen wehmütigen Blick auf den Sack Styroporkugeln, den zum Leben zu erwecken ich nicht vermocht hatte. »Wo warst du eigentlich heute Abend? Hast du etwa auch Brandbomben ins Haus dieses Unglückseligen geworfen?«
»Charles!« Sie fuchelte ärgerlich mit den Händen. »Wenn du endlich mal aufhören würdest, immer so maßlos zu übertreibenÉ«
»Ja sicher, er ist nicht schlechter als du, er versucht bloß ein bisschen Eindruck zu schinden bei der kleinen Schwachsinnigen da. Die Hälfte ist sowieso erfunden, ein dummes Kleinjungenspiel, irgendwann wirdÕs langweilig, und dann hören sie schon auf damit. Meinst du das?«
»Der Punkt bei Titanic ist doch der«, sagte Laura. »Da ist für jeden was dabei.«
Bel nahm ihren Arm von Franks Schulter, rutschte mit ihrem Stuhl zu mir herüber und gab eine jämmerliche Vorstellung als mitfühlende Schwester. »Und, wie warÕs?«, flüsterte sie. »Haben sich deine Hoffnungen erfüllt?«
»Bitte, Bel, nicht. Ich habe schon genug gelitten.«
»So schlimm?« Sie versuchte es, konnte aber nicht verbergen, wie sehr sie sich amüsierte.
»Eine Katastrophe. Franks Gangsterchuzpe ist ja wenigstens noch irgendwie schillernd. Aber sie ist wie eine Überdosis Valium.«
»Was du neulich Golem genannt hast?«
»Ein Teamleitergolem«, sagte ich bekümmert.
»Seit dem letzten Mal scheint sie wirklich noch schlimmer geworden zu sein«, sagte Bel nachdenklich. »Tja, Charles, das geht ganz allein auf deine Kappe. Ich meine, was erwartest du, wenn du dir deine Freundinnen in Jahrbüchern suchst.«
»Auf den Fotos kam sie wirklich gutÉ«
»Genau deshalb É danke, Mrs P.« Die dienstbare Mrs P stapelte sich das Geschirr auf eine Hand und war Sekunden später wieder verschwunden. »Genau deshalb musst du raus in die reale Welt und dich umschauen, mal was tunÉ«
Ich ließ ein nuscheliges Brummeln hören und sah mich mit einem Plastikdiadem und einem erbaulichen Buch durch Chiles Wüstengestrüpp wandernÉ
»Ich meinÕs ernst, Charles. So läuft das nicht, man verliebt sich nicht in Menschen, nur weil sie gut aussehen oder so heißen wie Figuren aus Gene-Tierney-Filmen.«
»Der Grund ist so gut wie alle anderen«, wandte ich ein und wurde plötzlich rührselig. »Und wenn für manche Menschen die reale Welt eben nicht gemacht ist, und die ganz genau wissen, dass das auch so bleibt, dann ist es besser für alle, dass die sich einfach raushalten und É undÉ«

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ch merkte, dass ich schwitzte und dass ich ziemlich laut gesprochen hatte. Frank zeichnete für Laura gerade so etwas wie eine Karte, und Laura schien so sehr darin vertieft, dass sie wohl nichts von meinen Worten gehört hatte. Bel jedoch schaute mich nachdenklich an, ein bisschen wie an dem Abend, als sie die Geschichte mit der Bank aufgedeckt hatte. In meinem Kopf drehte sich alles. Verlegen kippte ich den Rest von meinem RigbertÕs. »Éins Kloster gehen«, beendete sie meinen letzten Satz für mich.
»Nun ja, ich nehme an, es gibt so eine Art Guide Michelin für Klöster.«
»Also hier ist BakerÕs Corner.« Frank deutete auf den Salzstreuer. »Und der Soßenlöffel hier ist KillÕs Lane, okay? Ziggy steht hier, direkt neben der Texaco-Tankstelle. Das letzte Mal, als mein Kumpel Droyd und ich da waren, da hatte er vierzehn Dinger eingeworfen und ich elfÉ«
»Mein Freund war drauf und dran, diese Texaco-Tankstelle zu übernehmen«, sagte Laura traurig.

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er große Zeiger der Uhr bewegte sich langsam wieder auf die Zwölf zu. Ich hörte, dass Mrs P nach oben in ihr Schlafzimmer ging. MacGillycuddy stand jetzt draußen auf Posten, die Kamera startklar; da draußen, wo ich trotz der Spiegelungen auf der Fensterscheibe dunkle Umrisse von Bäumen erkennen konnte.
»Was ist eigentlich zwischen dir und dieser Patsy gewesen, Charles?« Bel zeichnete mit ihrem Zeigefinger unsichtbare Figuren auf die Tischplatte. »Eine Zeit lang hast du sie doch wirklich gemocht, oder?«
»Ach, dieÉ«
»Und dann hast du den Kontakt zu deinen Freunden abgebrochen. Was ist passiert? Was Bestimmtes?«
»Eine Affäre, nichts weiter. Was ist, willst du, dass ich in feste Hände komme, dass ich mich um einen Erben für mein abhanden gekommenes Vermögen kümmere?«
»Und, soll das ewig so weitergehen, mit Affären, meine ich? Kann mir nicht vorstellen, dass das ein Vergnügen ist, ganz allein hier im HausÉ«
Ich spürte, dass ihr plötzlich unbehaglich war. Der Kopf war gesenkt, der Finger bewegte sich schneller über das Holz.
Ich griff nach einer Flasche mit einem Elefanten auf dem Etikett. »Du hast mir noch gar nicht gesagt, wo du heute mit Frank warst.«
»Wenn du es unbedingt wissen willst«, sagte sie kühl. »Wir haben uns den ganzen Nachmittag Wohnungen angeschaut.«
»Wohnungen?« Die Austern schlugen Saltos in meinem Magen.
»Ja, wir ziehen zusammen.« Misstrauisch nippte sie an dem Likör, würgte ihn hinunter und verzog das Gesicht. »Was ist das denn?«
»Weiß nicht«, sagte ich matt. »Wahrscheinlich irgendwas vom Elefanten.« In meinem Kopf ging es zu, als sei ein Karussell aus den Schienen gesprungen.
»Das ist ja noch schlimmer als das andere Zeug, das ist untrinkbar.« Sie trank noch einen kleinen Schluck, wobei die Finger ihrer freien Hand leicht zitterten. »Kein Grund, sich aufzuregen. Es ist ja nicht für immer, wir heiraten ja nicht oder so. Ich muss hier raus, und ich hab kein Geld, eine reine Vernunftsentscheidung.«
»Aber É aber was É« Ich wusste, dass es absolut sinnlos war, diese Frage zu stellen, aber ich konnte nicht anders: »Was findest du bloß an ihm?«
Ihr Gesicht verdunkelte sich. »Ist doch völlig egal, was ich jetzt sage. Du bleibst ja doch bei deiner Meinung. Für dich ist er ein Monster. Aber das ist er nicht. Er ist ein Mensch, und er ist lieb und freundlich und versucht nichts darzustellen, was er nicht ist. Außerdem hat er nichts mit diesem Haus zu tun oder mit Holy Child oder dem Trinity College oder Mutter oder Vater oder irgendeinem ihrer FreundeÉ«

W
orte und Gefühle stiegen in mir auf. Ich brannte darauf, ihr alles zu erzählen. Nicht nur das von dem gestohlenen Stuhl und der Menora und was mit dem Keller passiert war, auch alles über Chile und MacGillycuddy, den Gartenturm und Patsy Olé. Aber ich wusste, was ich auch sagte, nichts würde sie umstimmen. Bels Einstellung gegenüber meinen Ratschlägen war, diese erst sorgfältig zu bedenken, daraus dann die genau gegenläufige Handlungsweise zu entwickeln und schließlich entsprechend vorzugehen.
»Er hat ein Sonnendach«, sagte Laura. »Trotzdem, irgendwann möchte ich einen Jeep, einen Mitsubishi Pajero oder so.«
»Es ist ja bloß, weil du noch dein ganzes Leben vorÉ«

B
el schlug mit der Hand auf den Tisch. »Warum tust du mir das an?«, schrie sie. »Du versuchst doch bloß, wie Vater zu klingen, oder wie du glaubst, dass Vater geklungen hätte, wenn er sich jemals die Mühe gemacht hätte, mit mir zu sprechen!« Ich zuckte zusammen. Frank schaute sich kurz um. »Es ist einfach anders«, sagte sie, leiser jetzt. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 29.03.2006