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Drei Geiseln im Irak befreit:
Bangen um entführte Deutsche

René Bräunlich und Thomas Nitzschke seit zwei Monaten verschleppt

London/Bagdad (dpa). Nach fast vier Monaten haben amerikanische und britische Soldaten gestern im Irak drei westliche Menschenrechtsaktivisten aus der Geiselhaft befreit.
Dies bestätigte der britische Außenminister Jack Straw. Es handelt sich um einen 74-jährigen Briten sowie zwei Kanadier im Alter von 32 und 41 Jahren. Sie waren am 26. November zusammen mit dem US-Amerikaner Tom Fox (54) in Bagdad verschleppt worden. Die Leiche des Amerikaners war Anfang März gefunden worden. Von den anderen drei - dem Briten Norman Kember und den Kanadiern Harmeet Singh Sooden und Jim Loney - gab es seit zwei Wochen kein Lebenszeichen.
Die befreiten Geiseln gehören zu der pazifistischen, christlich motivierten Hilfsorganisation Christian Peacemaker Teams (CPT). CPT- Mitglieder halfen seit dem Sturz des Regimes im Irak vor drei Jahren irakischen Familien, deren von den Amerikanern gefangen genommenen Angehörigen in US-Militärgefängnissen aufzuspüren.
Der Aktion zur Befreiung der Pazifisten sei über Wochen vorbereitet worden, sagte Straw. An der Aktion gestern Morgen um 8.00 Uhr Ortszeit, nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Aufenthaltorts der Geiseln, waren Soldaten aus verschiedenen Staaten beteiligt. Die Entführer waren nicht im Gebäude, als das Militär angerückte. Schüsse sind nach Angaben der Militärs nicht gefallen. Der frühere Medizin-Professor Kember soll in einem »vernünftigen Zustand« sein.
Im Irak gelten derzeit mehr als 70 Ausländer, davon mindestens acht aus dem Westen, als entführt oder werden vermisst. Vor fast genau zwei Monaten wurden die beiden Leipziger Techniker René Bräunlich und Thomas Nitzschke verschleppt. Die Bundesregierung soll Hinweise darauf haben, dass die beiden noch leben. Direkten Kontakt zu den Entführern hat das Auswärtige Amt angeblich nicht.
In Leipzig erinnern unterdessen hunderte Menschen montags und donnerstags bei Mahnwachen an ihr Schicksal. »Das gibt Kraft«, sagt Ingeborg Bräunlich, die Mutter der älteren Geisel.
Die zierliche Bankangestellte kommt jeden Donnerstag zur Nikolaikirche. »Ich muss hierher kommen«, sagt sie. »Es ist mir Bestätigung, dass die Menschen hinter mir stehen.« Geduldig beantwortet sie Fragen von Journalisten.
»Die Angehörigen erleben ein extremes Wechselbad der Emotionen zwischen Hoffen und Bangen. Für sie ist die Situation oftmals schlimmer als für die Geiseln«, sagt Traumaexperte Georg Pieper.
Der Psychologe aus dem hessischen Gladenbach betreut seit den 80er Jahren Katastrophenopfer. Bräunlichs Mutter macht es aus seiner Sicht richtig: »Ich sage den Betroffenen immer: bewegt Euch, engagiert Euch, redet.«
Die Angehörigen von Thomas Nitzschke schotten sich weitgehend ab. »Dabei wollen wir zunächst auch bleiben«, sagt Bruder Volker. Zwischenzeitlich hat sich auch Bräunlichs Lebensgefährtin, Sindy Brost, mehr zurück gezogen. »Ich bin von den anderen darum gebeten worden und halte mich gerne daran«, sagt die Friseurin. Zugleich gilt es, den dreijährigen Sohn zu schützen. Er fragt immer öfter nach dem Vater.
Fast sechs Wochen liegt das letzte Lebenszeichen im arabischen Nachrichtensender Al-Arabija in Form einer Videobotschaft vom 11. Februar zurück. Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes bemüht sich intensiv um eine Freilassung der Männer, heißt es in Berlin.
In Leipzig gehen Freunde und Arbeitskollegen mit den Meldungen inzwischen vorsichtig um. »Ich will keine Euphorie aufkommen lassen«, sagte Bräunlichs Fußball-Trainer Michael Herrn.

Artikel vom 24.03.2006