31.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Ein Stromausfall, das habe ich doch gerade gesagt.« Allmählich ging sie mir auf Nerven. »Wenn Sie eine Kerze wollen, bitte, wenn nicht, auch gut. Ich glaube, Sie sollten dann wieder in Ihr Zimmer gehen. Nun ja, um ehrlich zu sein, Sie können einem schon etwas Angst einjagen.« Das offene Haar fiel ihr wirr über den Rücken, das altmodische Nachthemd hatte an Ärmeln und Kragen Knöpfe. Sie stand jetzt so nah vor mir, dass mir ihre glasigen Augen auffielen. »Mrs PÉ«
Sie ging die letzten paar Stufen hinunter, wobei sie sich mit einer Hand am Geländer festhielt. Sie murmelte vor sich hin und schaute mich dann ernst an. »Sie kommen, sie kommen zurück. So fängt es immer an.«
»Was fängt so an? Wo gehen Sie hin?«
Sie war jetzt unten angekommen, ging ohne innezuhalten an mir vorbei, bog dann scharf nach rechts und rief: »Wo bist du, Mirela? Wir müssen uns beeilenÉ«
»Hey, hallo!«, rief ich der enteilenden Gestalt hinterher und räusperte mich übertrieben. »Hallo, Mrs P, jetzt hören Sie É aua!« Ein Tropfen heißen Wachses war an der Kerze herunter- und auf meine Hand gelaufen. »Ich É verdammt É Ich bring eben die Kerze weg, warten Sie hier.« Ich ging hastig ins Speisezimmer, während Mrs P, ein weißes, blasses, kleiner werdendes Viereck, in entgegengesetzter Richtung davontrottete.
»Was ist los mit ihr?«, fragte Laura, während ich nach einem Kerzenständer suchte.
»Nichts, sie ist nur ein bisschen É Wo sind Bel und Frank?« Sie war allein im Raum. Melancholisch-sehnsuchtsvoll posierte sie an einem Schrank aus Rosenholz. Ich musste zugeben, dass Kerzenlicht ihr gut zu Figur stand.
»Weiß nicht«, sagte sie mit einer Art absichtsvollem Schulterzucken, als wolle sie andeuten, dass dies keine unbedingt negative Entwicklung sei. »Sind wohl ins Bett.«
Mir war, als hätte sie das letzte Wort um eine Winzigkeit stärker betont. Aber ich konnte mir dessen nicht sicher sein. Ich rammte die Kerze in einen Ständer. Jetzt konnte ich sie mir genauer anschauen. Ihr unschuldiger Blick war dem Kamin zugewandt, als dächte sie über etwas nach. Aber ohne jeden Zweifel hatte irgendeine Veränderung stattgefunden. Sogar ihre Körperhaltung war jetzt anders. Sie lehnte mit schamlos vorgeschobenen Hüften an der Vitrine, die Hände steckten in den Hosentaschen. Ein Knopf an der Bluse stand offen, und einzelne Haarlocken hingen ihr erotisch wirr in die Stirn.
»Tja, ist ziemlich spät geworden«, sagte ich zweideutig, schlenderte herum und steckte Kerzen in Kandelaber. Kaum wahrnehmbar schwankend stand sie da und folgte meinen Bewegungen mit einem - wie mir schien - einzigartig amourösen Lächeln.
»Schätze, ich ruf mir dann ein Taxi.« Ihre Stimme, die jetzt tiefer klang, rauchig und trocken, rührte an etwas Verborgenem in mir.
»Schätze, das ist wohl das Beste«, sagte ich. Sie bewegte sich nicht, ich steckte weiter Kerzen in Kandelaber. Mit jeder neuen Flamme nahm ich meine Umgebung verschwommener wahr und steigerte sich mein Verlangen. Schließlich hatte ich den Eindruck, als lodere um mich herum ein bacchanalisches Feuer, in dem wie die Nadel eines Kompasses Lauras Gesicht auf und ab hüpfte. Ich fühlte mich wie Nero, der Roms letzten Walzer dirigiert. »Hat bestimmt Spaß gemacht, das Wiedersehen mit dem alten Frank, oder?«, sagte ich beiläufig.

I
ch wünschte, die Arbeit würde auch immer so viel Spaß machen«, sagte sie abwesend. Vom RigbertÕs glänzte ihre Oberlippe karmesinrot. Sie legte den Kopf in den Nacken, spreizte die Finger und fuhr damit über die facettierten Schranktüren. »Wenn ich allerdings so reich wäre, würde ich keinen Tag mehr arbeiten in meinem Leben.«
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Während sie mich anlächelte, für einen langen, sonderbaren Augenblick, schien ihre Gestalt von einem gleißenden Glanz umhüllt, gegen den der Schein der Kerzen verblasste. Aus Angst, ich könnte ihn zerstören, wagte ich nicht, mich zu bewegen. Hatte ich sie etwa doch falsch eingeschätzt? Stand jetzt die wahre Laura vor mir? Die Laura, die den Staub der schnöden Alltagswelt abgeschüttelt hatte? Ich schaute auf die Uhr. Mitternacht. Noch genügend Zeit, um dem auf den Grund zu gehen.
»Andererseits würde ich mich vielleicht langweilen, wenn ich so reich wäre«, setzte sie gleichgültig hinzu.
Ich erweckte den letzten Docht zum Leben und löschte das Zündholz.
»Was machst du, wenn dir langweilig wird?«, fragte sie.
»Weiß nicht.« Lässig ging ich einen Schritt auf sie zu. »Ich lass meine Sachen versichern.«
Sie beugte sich vor und schaute mir in die Augen. »Bist du eigentlich versichert?«
Ruckartig zog ich den Kopf zurück. »Warum fragst du das?«
»Ich meine ja bloß«, sagte sie kichernd. »Vielleicht sollte ich dich mal genauer unter die Lupe nehmen. Wo ich schon mal da bin, der Vollständigkeit halber.«

I
ch nahm ihre Hand. Auf ihrem Gesicht flackerte Kerzenlicht. »Lass uns nach oben gehen«, sagte ich. Unsere Arme umschlangen die Taille des anderen, wobei ihre Bluse etwas nach oben rutschte und einen verlockenden, kühl-silbrigen Streifen Bauch entblößte. Im Türrahmen blieb sie stehen und schaute mich an. »Lässt du die Kerzen etwa alle brennen?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Wegen der Feuergefahr«, sagte sie undeutlich. »Vierundvierzig Prozent aller Brände werden verursacht durch nackte É nackteÉ« Ihr Kopf sank auf meine Brust. »Mann o Mann, ich bin dermaßen betrunken.«
»Blödsinn«, sagte ich mit Nachdruck. »Du bist praktisch nüchtern. Das ist bloß das schwere Essen.«
Wir kamen zur Treppe. Ich versuchte mit einer Hand Laura auszubalancieren und mit der anderen eine Kerze zu halten. Sie schwankte immer mehr. Plötzlich wurde ich mir der realen Gefahr bewusst, dass sie einschlafen könnte, noch bevor irgendetwas passiert wäre. »Erzähl mir von Titanic«, schlug ich vor, als wir die dritte, dann die vierte Stufe nahmen. Es hatte den Anschein gehabt, als hätte sie der Film ziemlich beschäftigt.
»So traurig«, seufzte sie. »So traurig É Also die Leute, die É also, die sind alle auf dem Schiff É auf der Ti É Ti É Mindestens sechsmal hab ich den gesehen, und jedesmal musste ich heulenÉ«
»Ach ja?«, stöhnte ich. Außerdem wurde sie schwerer.
»Leonardo DiCaprio im Smoking, so schnuckelig É und Kate Winslet, so schön É ein kleines bisschen fett vielleicht, aber was sollÕs?« Ihre Füße schlugen gegen die Stufen. »Aber der Verlobte von Kate Winslet ist so ein Arschloch, so ein Wichser É der will sie einsperren, dem ist völlig egal, dass sie einen andern liebt É Ich hasse solche Leute, die glauben, dass sie was Besseres sindÉ« Ihre Miene verdüsterte sich. »Bel auch É die glaubt, sie ist was Besonderes, weil sie Schauspielerin ist É Versteh mich nicht falsch, Charles.« Sie drehte sich ruckartig um und legte mir einen Finger auf die Lippen, wobei sie uns beide fast die Treppe hinunterriss. »Versteh mich nicht falsch, ich mag sie wahnsinnig gern. Aber schon damals in der Schule, da hat sie gedacht, sie ist die große Schauspielerin und alle anderen sind ja sooo langweilig É Dabei ist sie die Todlangweilige É irgendwann kriegt erÕs auch mit. Nie ist sie mit uns weggegangen, auf Õn Bier oder so, immer hat sie in ihrer kleinen Welt gesteckt, hat sich selbst fertig gemacht und hat sich alle möglichen ekligen Sachen angetan. Na ja, ist ihre Sache, wenn sie sich unbedingtÉ«

A
brupt brach sie ab, legte den Kopf etwas zurück und schaute mich an. Von der Oberlippe tropften glänzende Schweißperlen auf mein Hemd. Sie war blass geworden, und das Kerzenlicht arbeitete nun auch gegen sie. Mit den hohlen Wangen machte sie einen ausgemergelten Eindruck. »Versteh mich nicht falsch, Charles«, sagte sie leicht nuschelnd. »Ich meine, sie ist fabelhaft, und ich mag sie wahnsinnig gern É Und es ist so toll, dass ich dich endlich kennen lerne, wo sie in der Schule immer von dir geredet hat, das hat sich immer alles so großartig angehört, wie bei König und KöniginÉ«
Sie verstummte. Wir schauten uns traurig an.
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn ich dir jetzt ein Taxi rufe«, sagte ich sanft.
»Charles.« Sie hatte feuchte Augen und biss sich auf die Unterlippe.
»Ja?«
»Ich glaube, mir wird schlecht.«
»Oh. Schnell, hier langÉ« Sie schniefte pausenlos, während ich sie die letzten Stufen hinauf und durch den Flur zum Badezimmer führte. An der Tür gab ich ihr die Kerze. »Soll ich hier warten?« Sie machte den Mund auf, um zu antworten, als sie die Augen aufriss, die Hand vor den Mund schlug und ins Bad stürzte.
»Ich warte in meinem Zimmer«, rief ich ihr hinterher. »Wenn du fertig bist, komm rüber. Zweite Tür rechts.«

E
s folgte eine Serie pumpender, würgender Geräusche. Ich zuckte mit den Achseln und ging durch den dunklen Flur in mein Zimmer, setzte mich aufs Bett und spielte morbide an meinen Manschettenknöpfen herum. Als ich sie angelegt hatte, war ich voller Mut und Hoffnung gewesen. Es kam mir vor, als läge das eine Woche zurück. Ich ließ mich auf den Rücken fallen und starrte an die unsichtbare Decke. Laura konnte nichts dafür, dass sie schön war und ich sie langweilig fand, es lag an mir. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 31.03.2006