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Wissenschaftliches Lesevergnügen

Prof. Dr. Claudia Riemer empfiehlt eine Enzyklopädie - Literaturtipp 18


Bielefeld (sas). Erstmals haben Wissenschaftler der Universität im vergangenen Wintersemester Literaturtipps für Studienanfänger gegeben: Romane, Sachbücher und Krimis legen sie ihnen ans Herz. Wir veröffentlichen einige dieser Empfehlungen - wie die der Linguistin Prof. Dr. Claudia Riemer.
Auf den ersten Blick ist es befremdlich und ganz schön mutig: Da gibt eine Wissenschaftlerin Studenten den Tipp, zu einer Enzyklopädie zu greifen. Als ob man während des Studiums nicht schon genug Fachliteratur bewältigen müsste. Das Blättern in David Crystals »The Cambridge Encyclopedia of Language« (gibt es auch in deutscher Übersetzung, aktuell broschiert beim Versand Zweitausendundeins!) zeigt aber, dass diese Enzyklopädie wirklich lohnenswert ist und das Lesen ein Vergnügen.
Aus didaktischen Gründen, schmunzelt Claudia Riemer, habe sie die englische Ausgabe empfohlen: »Die Studierenden haben oft große Hemmungen, sich an die englische Fachliteratur zu trauen. Und die deutsche Übersetzung finden sie in aller Regel auch schnell.«
Das Buch, begründet sie ihren Tipp, öffne die Tür zur Sprachwissenschaft und führt in viele Themenbereiche ein. Aber selbst wenn es für angehende Linguisten, Germanisten oder Anglisten ein Muss ist: Gewinn kann jeder aus der Lektüre ziehen, zumal sich der Leser die Kapitel aussuchen kann, die ihn interessieren. Es gibt Erhellendes über die Funktion und Gleichwertigkeit von Sprache, über die Verbreitung der Sprache, die Sprachen der Welt über kindlichen Spracherwerb, den Zusammenhang von Sprache und Denken oder Sprache und Gehirn. »Und weil das Buch mit vielen Beispielen arbeitet, vermittelt es einen direkten und unterhaltsamen Zugang zu den Fragen der Sprachwissenschaft«, wirbt Riemer.
Nur »bierernst« muss man das Buch trotz aller Wissenschaftlichkeit nicht lesen: So werden Sprachspielereien wie Zungenbrecher oder Palindrome (Texte, die von vorne und hinten gleich zu lesen sind) an netten Beispielen erläutert. Nebenbei erfährt man, dass Leipogramme Texte sind, in denen ein bestimmter Buchstabe niemals vorkommt. Und siehe da: Sogar auf das »e« kann absatzweise verzichtet werden.
Dass die Qualität einer Übersetzung durch Rückübersetzung kontrolliert werden kann, wird am Beispiel eines Goethe-Gedichtes erläutert: »Wanderers Nachtlied« wurde 1902 ins Japanische übertragen, 1911 ins Französische übersetzt und danach ins Deutsche rückübersetzt - in der Annahme, das Original stamme aus Japan. Und so wurde aus »Über allen Gipfeln ist Ruh'« der Satz »Stille ist im Pavillon aus Jade«. »Das verdeutlicht den kulturellen Zusammenhang von Sprache«, erklärt Riemer.
Nett ist aber auch das Kapitel über Dialekte und sprachliche Besonderheiten. So erfährt der geneigte Leser, dass die Frikadelle in Berlin zwar Bulette heißt, in Bayern Fleischpflanzerl, in Teilen Österreichs Fleischlaiberl und in der Schweiz Hackblätzli. Und über ein Glossar am Ende ist die Enzyklopädie zudem als Lexikon zu benutzen.

Artikel vom 24.03.2006