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Wenn der Heimvorteil
sogar zum Nachteil wird

Sportpsychologe warnt vor WM-Druck


Münster (dpa). Wir sind Fußball - und im Jahr der WM alle zumindest Strategie-Profis. Da lässt sich mit dem Bier in der Hand hervorragend die Nationalmannschaft aufstellen. Und auch die Wunderwaffe Heimvorteil darf im Repertoire der psychologischen Spielführung keines Passiv-Kickers fehlen. Doch Sportpsychologen halten das Phänomen für überschätzt und warnen sogar vor Heimnachteilen.
»Es gibt den Heimvorteil«, sagt der Münsteraner Sportpsychologe Bernd Strauß. »Aber er findet im Spieler selbst statt.« In einer Studie hat der Wissenschaftler alle Spiele der Bundesliga zwischen 1963 und 1998 analysiert. Ergebnis: In 53,3 Prozent der Spiele triumphierte die Heimmannschaft. Etwa jeder fünfte Sieg wurde auswärts eingefahren, der Rest endete remis. Das klingt eindeutig, ist es aber nicht. Denn die Ursachen für den Heimvorteil seien überhaupt nicht klar. Alle Faktoren, die als so vorteilhaft gälten, beeinflussten separat untersucht das Spielergebnis kaum.
Laut einer Studie der Kanadier Steven Bray und Neil Widmeyer sprechen Spieler selbst dem Einfluss des Publikums und der Vertrautheit der Sportstätte einen positiven Einfluss zu. »Aber die Spieler haben heute so häufig wechselnde Spielorte, dass das nicht ernsthaft eine Rolle spielen kann«, hält Strauß dagegen.
Vorteil Publikum? Objektiv gesehen: Fehlanzeige. »Jubeln spielt Studien zufolge für das Endergebnis des Spiels gar keine Rolle«, sagt der Forscher. So hätten US-Basketballspieler wegen einer Masern-Epidemie mehrfach vor leeren Rängen gespielt - und besser abgeschnitten als vorher.
Tatsächlich könne sich das Spiel vor heimischen Fans auch als Nachteil entpuppen. »Wenn die Spieler Angst vor Misserfolg bekommen und beginnen, über sich selbst nachzudenken, kann es kritisch werden«, warnt Strauß. »Versagen unter Druck« nennt sich das. Und der Druck auf die junge DFB-Auswahl wird bei der WM riesig. »Letztlich ersetzt Psychologie aber kein Training und keine körperlichen Fähigkeiten«, sagt Strauß. Da stimmt ihm der Kapitän zu: »Wenn man solche Fehler macht wie gegen Italien, hat das mit heim und auswärts wenig zu tun.«

Artikel vom 30.03.2006