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Martin Walser

»Nur eines ist noch sinnloser
als Fußball: das Nachdenken
über Fußball..«

Leitartikel
Ein WM-Land in Unruhe

Von Calli C.
bis
Dunkeldeuter


Von Rolf Dressler
Deutschland leidet und leidet.
Brandneue Umfragen bestätigen nur abermals: Wir sind und bleiben die unangefochtene Weltmeister-Nation der lebensängstlichen Pessimisten - ein noch milder Sprachgebrauch für triste Dunkeldeuter und Schwarzseher.
Die altvorderen Staatsautoritäten waren uns ja schon vor län- gerem abhanden gekommen. In Ermangelung derselben könnte man daher versucht sein, als (vor-)letzte Adressen ersatzweise die modernen Obrigkeiten anno 2006 anzurufen. Etwa mit der neuzeitlich-protokollgerechten Anrede »Hochverehrter Fußball-Kaiser Franz I.« oder »Eure Exzellenz König Kurt I. Beck von Rheinland-Pfalz« oder, ein wenig vertrauter, »Mein lieber Polit-Lokalfürst Soundso von Entenhausen ...«
Näher zu besprechen hätten wir Bürgersleute ja wahrlich eine Menge mit all jenen Herrschaften, die sich offenbar auf nichts so virtuos verstehen wie darauf, dem Publikum - vom Jungwerktätigen bis zum Rentner mit schmalem Geldbeutel - fortwährend noch mehr erarbeitetes Geld aus der Tasche zu ziehen.
Dabei werden heute bereits fast 70 Prozent der 83-Millionen-Bewohnerschaft Deutschlands, ob direkt oder indirekt, praktisch von der Minderheit subventioniert. Denn tatsächlich ist nur noch knapp ein Drittel im sogenannten produktiven Bereich tätig. Und dieses Drittel muss daher jene riesigen Milliarden-Gelder erwirtschaften, die allen übrigen Le- bensexistenz und Auskommen gewährleisten: staatliche (Bei-)Hilfen in unüberschaubarer Zahl, Krankenversorgung (auch für zig Millionen Menschen, jung und alt, aus aller Welt, die nie einen ein- zigen Heller in unsere sogenannten Solidarkassen eingezahlt haben), Renten und Pensionen (Tendenz: rasant steigend), Gehälter für die 4,7 Millionen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes und vieles andere mehr.
Apropos, vollends entlarvend und deutschland-typisch ernüchternd wirkt es da, wie selbstherrlich sich die Gewerkschaft ver.di in ihrem wochenlangen Streikgefecht mit den öffentlichen Arbeitgebern aufführt. Ohne Rücksicht auf ungezählte berufstätige Mütter werden Kindergärten lahmgelegt, Räum- und Streufahrzeuge blockiert, Straßen und Gehsteige nicht von Schnee und Eis geräumt (Privatmenschen müssen für Folgeschäden haften!); und in Mannheim konnten 25 Müllfahrzeuge eines privaten Entsorgungsunternehmens nicht einmal ausrücken, um Abfälle aus einem Vogelgrippe-Bezirk abzutransportieren. Begründung der großmächtigen Stadtverwaltung: Das Land habe die beantragte Ausnahmegenehmigung vom Sonntagsfahrverbot für Lkw nicht genehmigt.
Deutschland vor, Eigentor...!?
Und nun, ausgerechnet so kurz vor dem Giganten-Spektakel WM 2006, quält sich und uns zu alle- dem auch noch der schwelende Fall eines XXL-Schwergewichts im Reich von König Fußball. »Wir sind Calli« - das war einmal, zur Glanzzeit des Erstliga-Werksklubs Bayer 04 Leverkusen. Jetzt, da sich womöglich Düsteres zusammenbraut, ergeht dieser Aufruf: »Werter Ex-Supermanager Reiner Calmund, sagen Sie der Nation rasch, was wirklich Sache ist!«
Bundesliga-Spiele verschoben, das wäre nicht auszudenken.
Dann müssten wir ja noch mehr leiden. Weit über die WM hinaus.

Artikel vom 23.03.2006