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»Wir haben vor nichts Angst«

In Weißrussland halten die Demonstrationen gegen Lukaschenko an

Minsk/Berlin (dpa). Die weißrussische Opposition will trotz weiterer Festnahmen ihre Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko ausweiten. Das kündigte Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch gestern Abend vor tausenden Anhängern im Stadtzentrum von Minsk an.
Mit einem Porträt des Oppositionskandidaten Alexander Milinkewitsch demonstriert dieser Weißrusse in der Hauptstadt Minsk. Foto:Reuters

Nach Schätzungen aus Oppositionskreisen hat die Polizei bislang etwa 100 Teilnehmer der nicht genehmigten Kundgebung festgenommen. Der Vorsitzende der Vereinten Bürgerpartei, Anatoli Lebedko, wurde als erster prominenter Oppositionspolitiker wegen Teilnahme an den Protesten zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt.
Der bei der Wahl vom Sonntag ebenfalls unterlegene Kandidat Alexander Kosulin forderte am Abend die demokratischen Kräfte auf, dem Lukaschenko-Regime eine eigene Regierung entgegenzustellen. In Oppositionskreisen kursierten Gerüchte, die in den Straßen um den Oktoberplatz stationierten Polizeieinheiten könnten in der Nacht zum Mittwoch das Zeltlager der Demonstranten auf dem Oktoberplatz räumen und die Teilnehmer festnehmen.
Jeder Teilnehmer der Proteste müsse zur Verantwortung gezogen werden, forderte ein Sprecher des Innenministeriums nach Angaben der Nachrichtenagentur Belapan. Aus dem Ausland gab es erneut Forderungen nach Sanktionen gegen das Regime Lukaschenkos.
Das nach dem Vorbild der Orangenen Revolution in der Ukraine errichtete Lager wuchs bis zum Dienstagnachmittag auf 20 Zelte an, die von 300 meist jugendlichen Oppositionellen geschützt wurden. Ähnlich wie in Kiew versorgten Sympathisanten die Jugendlichen mit Essen. An den Vorabenden hatten sich jeweils etwa 10 000 Menschen versammelt. Sie protestierten gegen den Wahlsieg Lukaschenkos, der 82,6 Prozent der Stimmen für sich in Anspruch nahm, und forderten Neuwahlen.
Die Demonstrationen seien ein ermutigendes Signal, sagte der Schriftsteller Valentin Akudowitsch. Einen Machtwechsel wie in der benachbarten Ukraine schloss er aber aus.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, sieht in der Haltung des russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Schlüssel für die Situation in Weißrussland. »Der Einfluss Moskaus in Weißrussland ist von elementarer Bedeutung für die Entwicklung dort«, sagte Nooke der »Süddeutschen Zeitung«. »Präsident Putin muss sich klar vom Vorgehen Lukaschenkos distanzieren und auf einen Kurswechsel hin zur Demokratie drängen. Von Moskaus Unterstützung hängt sehr viel ab.« Politiker von Union und SPD forderten Sanktionen gegen Lukaschenko.
In Moskau begrüßte der Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow, die »überzeugende Wiederwahl« Lukaschenkos. Damit könne die russisch-weißrussische Union ausgebaut werden. Beobachter äußerten indes die Ansicht, dass Russland mit öffentlichem Eingreifen in die weißrussische Wahl vorsichtiger sei als vor 15 Monaten in der Ukraine. »Der Kreml hält sich offenkundig zurück, weil die Russen im G8-Jahr nicht als undemokratisch gelten wollen«, sagte der Politologe Valeri Karbalewitsch vom weißrussischen Zentrum Strategija.

Artikel vom 22.03.2006