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Karsai sind Hände gebunden:
Christen droht die Todesstrafe

Ganz »vorbildliche Demokratie« - Justiz ein »unabhängiger Pfeiler«

Von Can Merey
Kabul (dpa). Die Wellen der Empörung schlagen hoch in Deutschland: In Afghanistans Hauptstadt Kabul droht einem zum Christentum übergetretenen, früher muslimischen Afghanen, der lange Jahre in der Bundesrepublik gelebt hat, die Todesstrafe - weil er trotz Aufforderung des Gerichts nicht zurück zum Islam konvertieren will.
Der zuständige Richter Ansarullah Mawlavizada hält eine Bibel in die Höhe, die dem Ex-Muslim Abdul Rahman gehört: »Ich habe ihn aufgefordert, zum Islam zurückzukehren, aber er hat leider abgelehnt.«
Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai sind durch die Verfassung die Hände gebunden.

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) will beim afghanischen Präsidenten Hamid Karsai intervenieren, um das Leben des 40-jährigen Abdul Rahman zu retten. Karsai allerdings sind durch die Verfassung die Hände gebunden - was die Bundesregierung wissen und dem Präsidenten zunächst ganz lieb sein dürfte. Der Fall würde ihm sonst nur Probleme bescheren.
Die afghanische Verfassung, bei ihrer Verabschiedung Anfang 2004 auch von der damaligen Bundesregierung als großer Schritt Afghanistans in Richtung Demokratie gefeiert, ist das Ergebnis zäher Kompromisse. Die Staatengemeinschaft setzte ihre Vorstellungen von Menschenrechten und Demokratie in Teilen durch. In anderen Artikeln schafften es die Hardliner in der Großen Ratsversammlung, dem Gesetzeswerk einen islamistischen Anstrich zu geben - was im Westen damals offenbar vor lauter Begeisterung über die Verabschiedung durch die Loja Dschirga verdrängt wurde.
So kommt es, dass - ganz vorbildliche Demokratie - die Justiz nach Artikel 116 »ein unabhängiger Pfeiler« in Afghanistan ist - unabhängig auch von Einflussnahme durch Karsai. Deutlich nicht unter dem Einfluss des Westens entstanden dagegen andere Artikel, die nun das Todesurteil gegen den konvertierten Christ möglich machen würden. So heißt es in Artikel 2, dass die Religion der Islamischen Republik Afghanistans »die heilige Religion des Islam« ist, auch wenn Anhänger anderer Religionen frei sind, ihrem Glauben zu folgen. Artikel 3 schreibt vor, dass in Afghanistan »kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam widersprechen« darf.
Im Artikel 119 schließlich ist festgelegt, dass Richter des Obersten Gerichtshofs schwören müssen, Recht und Gerechtigkeit auch »gemäß den Bestimmungen der heiligen Religion des Islam« zu wahren. Die Scharia, das muslimische Rechtssystem, ist eindeutig: Wer sich vom Islam abwendet, wird zum »Murtad«, zum Abtrünnigen, und muss dafür mit dem Tode bestraft werden. Artikel 149 dann schließt aus, dass sich an der derzeitigen Rechtslage in Afghanistan irgendwann etwas ändern könnte: »Die Bestimmungen, nach der die Grundzüge der heiligen Religion des Islam und die Ordnung der Islamischen Republik befolgt werden müssen, können nicht geändert werden.«
Trotz allem ist Abdul Rahman noch nicht todgeweiht. Zwar gibt es keinen Zweifel, dass die afghanische Justiz dem ohnehin langsamen Aufbau einer demokratischen Ordnung in Afghanistan weit hinterherhinkt. Urteile wirken gelegentlich willkürlich, Richter überfordert. Doch Rahman hätte bei einer Verurteilung noch zwei Mal die Gelegenheit, in Berufung zu gehen - bis zum Obersten Gerichtshof. Hinzu kommt: Von 25 seit dem Sturz der radikal-islamischen Taliban Ende 2001 aus verschiedenen Gründen verhängten Todesurteilen wurde bislang erst eines tatsächlich vollstreckt.
Hingerichtet werden können Verurteilte nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten. Sollte Karsai eines Tages tatsächlich ein Todesurteil Rahmans zur Unterschrift vorgelegt werden, käme der Präsident in eine arge Zwickmühle. Der Westen, der mit Milliarden-Zuschüssen das Überleben Afghanistans und von Karsais Regierung sichert, würde ihn drängen, nicht zu unterzeichnen. Der Aufschrei bei den meist christlichen Geldgebern wäre enorm, würde tatsächlich ein Christ wegen seines Glaubens hingerichtet. Die mächtigen muslimischen Fundamentalisten im Land würden dagegen von Karsai fordern, an Rahman ein Exempel zu statuieren. Kommentar

Artikel vom 22.03.2006