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»Die Länder benötigen dringend einer Legitimation durch den Wähler - auch wegen gewaltiger Kosten.«

Leitartikel
Berlin ganz gelassen

Wahltag noch nicht Zahltag


Von Reinhard Brockmann
Auch wenn es keiner zugibt: In Berlin soll es Unionspolitiker geben, die am Sonntag Kurt Beck (SPD) die Daumen drücken.
Mit gleich verquerer Logik müssten Müntefering und Genossen auch Wolfgang Böhmer (CDU) in Magdeburg das Beste wünschen. Denn nach den jüngsten Umfragen der Meinungsforscher wird es bei den drei Landtagswahlen am Sonntag noch am ehesten in Sachsen-Anhalt zu einem Regierungswechsel kommen. Aber welchen Wert haben noch Umfragen, nachdem die Zunft der Demoskopen im vergangenen Wahljahr so hochnotpeinlich daneben gelegen hat?
Das Koalitionsklima in Berlin ist bestens, und das wollen alle so beibehalten. Angela Merkel und Franz Müntefering haben schon einiges abgearbeitet von dem, was im Lastenheft der großen Koalition steht. Zugunsten der nächsten Projekte Gesundheitsreform, Pflege, Mindestlöhne und Kündigungsschutz soll es bei dieser Arbeitsatmosphäre bleiben. Deshalb hoffen die Großkoalitionäre, dass das jeweils andere Lager nicht durch Klatschen, Watschen oder andere Patzer in den Ländern nervös gemacht wird.
In der Tat. Verlöre Kurt Beck mit Rheinland-Pfalz das letzte rote Flächenland, würde es für den neuen SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck ungemütlich. Auch wenn man nicht schon wieder einen neuen Vorsitzenden wählen könnte, müsste irgendein Ventil für den vielen Frust jenseits der Versorgung mit acht Bundesministerien her. Vergleichsweise im Rahmen hielte sich dagegen die Unruhe, wenn Sachsen-Anhalt vom Wahlvolk dem nächsten Wechselbad unterzogen würde. Es wäre die sechste Regierung seit 1990 - nichts was die Bundespolitik wirklich irritieren müsste.
Insofern hält sich die Spannung in Grenzen. Die Kommunalwahl in Hessen, gleichfalls am Sonntag, macht das Bild für eine bundespolitische Aussage vollends unbrauchbar - und das ist auch gut so. Denn Landespolitik braucht ihren eigenen Rahmen, angesichts gewaltiger Föderalismuskosten braucht sie dringend auch ihre eigene Legitimation.
Wenn künftig der Ton in Berlin rauher wird, dann nicht wegen oder trotz der Wahl, sondern weil nunmehr echte politische Brocken gestemmt werden müssen. Die Anfangsphase der Regierung Merkel ist gelaufen, Ausruhen auf ersten außenpolitischen Lorbeeren ist nicht zulässig.
Schon läuft die Uhr rückwärts bis zur brutalsten aller Mehrwertsteuererhöhungen der bundesdeutschen Geschichte. Bislang kaum bemerkt sind weitere Steuererhöhungen in Vorbereitung. Die Reichensteuer, die stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Verkäufen sowie die Neuregelung der Erbschaftssteuer stehen auf der Tagesordnung.
Das jüngste Urteil, wonach mehr als 50 Prozent »des Kaisers« sein dürfen, empfinden viele in der Regierung als Einladung zuzulangen. Das Volk wird es der Politik heimzahlen, nicht an diesem Sonntag, aber schon bald.

Artikel vom 22.03.2006