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Frühe Alzheimer-Therapie
bringt mehr Lebensqualität

Lesertelefon: die häufigsten Fragen - und was die Experten raten

Bielefeld (WB/ist). Die Alzheimer-Demenz ist eine Krankheit, die nicht nur die zumeist älteren Patienten trifft. Gerade nahe Verwandte leiden darunter, dass ihre Frauen, Männer oder Eltern das Gedächtnis und die Orientierung verlieren, dadurch hilflos, manchmal auch aggressiv werden. Entsprechend groß war das Interesse am WESTFALEN-BLATT-Lesertelefon zum Thema Alzheimer.

Viele Menschen nutzten die Gelegenheit, sich bei Dr. Michael Klemm (Zentrum für Psychiatrie, Krankenanstalten Gilead, Bielefeld-Bethel), Christine Morgenroth (Psychiatrie-Fachpflegerin, Gilead), Dr. Renate Husmann (niedergelassene Neurologin in Bielefeld), Dr. Siegfried Regenberg (Allgemeinarzt in Leopoldshöhe, Kreis Lippe), Dr. Gerhard Nübel (Gerontopsychiatrisches Zentrum am Landeskrankenhaus Gütersloh) und Veronika Reh (Alzheimer-Gesellschaft Bielefeld) Rat aus erster Hand zu holen. Ihre Botschaft: Alzheimer kann nicht geheilt werden, der Verlauf der Krankheit jedoch inzwischen deutlich verlangsamt und gemildert werden. Wichtig ist, dass Alzheimer in einem möglichst frühen Stadium diagnostiziert wird. Denn je eher die Behandlung einsetzt, desto größer ihr Erfolg.
Im Nachfolgenden zusammengefasst die meistgestellten Leserfragen und die Antwort der Experten.

Kann Alzheimer in der Familie vererbt werden? Alzheimer wird nur in seltenen Fällen vererbt. Es gibt allerdings einige wenige Familien, in denen die Krankheit an die Nachkommen weitergegeben wird. Meist bricht sie dann schon früh, deutlich vor dem 60. Lebensjahr aus.

Wie äußert sich die Alzheimer-Demenz?Typisch sind zunächst Störungen des Kurzzeitgedächtnisses: Neue Informationen werden vom Gehirn nicht mehr optimal verarbeitet, Worte und Termine vergessen. Das zeitliche wie das räumliche Orientierungsvermögen verschlechtern sich. Oft ziehen sich die Betroffenen zurück, verlieren das Interesse an Hobbys, wirken depressiv. Oder sie reagieren feindselig und aggressiv. Von einer Demenz - lateinisch: »ohne Geist sein« - spricht man, wenn solche Probleme den Alltag deutlich negativ beeinflussen und sie länger als sechs Monate anhalten.

Meine Mutter zeigt deutliche Anzeichen einer Demenz, weigert sich aber, zum Arzt zu gehen.Leider versuchen viele Demenzkranke, einem Arztbesuch aus dem Wege zu gehen. Doch gerade in der Frühphase verspricht eine medikamentöse Behandlung noch den größten Erfolg. Eine klare ärztliche Diagnose ist extrem wichtig, denn nur der Arzt kann wirksame Medikamente aus der Gruppe der Antidementiva verordnen. Sprechen Sie mit dem Hausarzt und schildern Sie die Probleme. Fühlt er sich nicht zuständig oder kompetent, lassen Sie sich einen Facharzt (Neurologe oder Psychiater) empfehlen oder bringen Sie Ihre Mutter - notfalls unter Anwendung von Tricks - in eine Gedächtnis-Sprechstunde an einer Klinik.

Kann man Alzheimer auch heilen? Leider noch nicht. Da man aber inzwischen weiß, dass vor allem ein Mangel an dem Nerven-Botenstoff Acetylcholin eine wichtige Rolle für den Ausbruch der Krankheit spielt, verfügt man heute über Medikamente, mit denen man den Verlauf der Alzheimer-Demenz verzögern und die Symptome bessern kann. Zu dieser Gruppe gehört zum Beispiel der Wirkstoff Galantamin, der ursprünglich im Schneeglöckchen entdeckt wurde. Gedächtnis, Orientierungs- und Sprachvermögen können damit für Monate bis Jahre stabilisiert werden - je früher, umso erfolgreicher.

Gibt es etwas, mit dem man Alzheimer vorbeugen kann?Nicht speziell. Aber die Erfahrung zeigt: Wer sich körperlich fit hält und geistig aktiv bleibt und Kontakte pflegt, der erkrankt seltener oder später an einer Demenz.

Mein Vater leidet seit fünf Jahren an Alzheimer. In letzter Zeit ist er sehr unruhig, schläft nachts kaum noch durch, reagiert immer öfter feindselig. Solche Veränderungen können vorkommen - vor allem für die pflegenden Angehörigen ist das eine enorme Belastung. Sie lassen sich mit modernen Atypika wie dem Wirkstoff Risperidon besser in den Griff bekommen, als es mit älteren Arzneimitteln gelang.

Sind Gingko-Präparate gut gegen Alzheimer?Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis.

Meine Mutter kaut stundenlang auf der Nahrung herum, will nichts mehr essen oder trinken. Wie kann ich ihr helfen? Im späten Stadium vergessen die Patienten sogar, was man mit Nahrung machen sollte. Versuchen Sie es mit Geduld und kleinen Portionen von Speisen, die einfach zu essen sind. In schweren Fällen muss über eine Sondenernährung nachgedacht werden.

Die Alzheimer-Erkrankung meines Vaters wächst uns langsam über den Kopf. Müssen wir ihn in ein Heim geben? Häufig wird die Belastung so groß, dass die Angehörigen selbst krank werden. Erkennt man diese Gefahr, sollte eine Heimunterbringung erwogen werden.

Bei meinem Mann wurde vor drei Jahren Alzheimer festgestellt. Seit geraumer Zeit macht er nun die Nacht zum Tage. Ich bekomme kaum noch Schlaf. Das Phänomen der Tag-Nacht-Umkehr ist bei Demenz-Patienten nicht selten. Versuchen Sie, mit Ihrem Mann tagsüber viel zu unternehmen, so dass er müde wird. Längere Spaziergänge sind eine gute Möglichkeit. Klappt das nicht, muss man eventuell medikamentös eingreifen. Hier hat sich der Wirkstoff Risperidon bewährt, der aber verordnet werden muss.

Wo können pflegende Angehörige Hilfe finden?Neben den ambulanten Pflegediensten, die ins Haus kommen, gibt es auch spezielle Tagespflegeeinrichtungen. Dort werden die Erkrankten betreut und beschäftigt. Der Angehörige erfährt so wenigstens tagsüber eine Entlastung.

Unser Antrag auf Pflegeversicherung wurde abgelehnt. Was kann ich jetzt noch tun? Legen Sie in jedem Fall Einspruch ein. Es wird dann eine erneute Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen erfolgen. Dafür sollten Sie sich vorbereiten, indem Sie ein ausführliches Pflegetagebuch führen, in das Sie wirklich alle Tätigkeiten, Anleitungen und Handreichungen, die Sie für den Patienten leisten, mit dem jeweiligen Zeitbedarf eintragen.

Artikel vom 24.03.2006