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70-Jähriger darf
weiter arbeiten

Klage gegen Kündigung erfolgreich

Von Hubertus Hartmann
Paderborn (WB). 99,6 Prozent aller Arbeitnehmer möchten spätestens mit 65 Jahren in Rente gehen. Ernst Georg T. ist schon 70 und denkt überhaupt nicht daran, die Füße hoch zu legen.

Der Autoverkäufer aus Paderborn erstritt gestern beim Paderborner Arbeitsgericht seine unbefristete Weiterbeschäftigung.
»Das hat man nicht alle Tage, dass jemand freiwillig länger arbeiten will«, staunte Arbeitsrichterin Silke Petersen. Der grauhaarige Herr auf der Klägerseite quittiert es mit einem gewinnenden Lächeln. T. verschwendet an den Ruhestand keinen Gedanken. »In meinem ganzen 50-jährigen Berufsleben bin ich nicht einen Tag krank gewesen und fühle mich nach wie vor topfit«, betont er.
39 Jahre war T. bei Ford beschäftigt. Vor elf Jahren - mit 59 - hat der erfolgreiche Verkäufer die Marke gewechselt und ist seitdem mit Herzblut Audi-Mann. »Die wollten mich unbedingt haben«, erinnert er sich. Auch dann noch, als eigentlich das Rentenalter gekommen war. Damals bat die Firma ihren Senior-Experten, noch zu bleiben.
Doch dann kam aus der Audi-Zentrale die Direktive, die Verkäufermannschaft zu verjüngen. Vergangenen Herbst hatte auch der letzte der vier Neuen seine Markenschulung beendet, und einer war zu viel an Bord. Gern hätte der Geschäftsführer seinen dienstältesten Mitarbeiter nun in den Ruhestand entlassen, aber der wollte nicht. Weil die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag scheiterten, schickte das Autohaus Ernst Georg T. zum 31. März 2006 die betriebsbedingte Kündigung.
Aber da spielt das Gericht nicht mit. »Mein Mandant ist nach der Sozialauswahl überhaupt nicht dran«, erklärte sein Rechtsanwalt. »Es spielt keine Rolle, ob jemand schon rentenberechtigt ist oder Multimillionär ist oder nur zum Spaß arbeitet.« Auch die angebotene Abfindung lehnt T. ab - er will weiter arbeiten.
Bei der Reform des Kündigungsschutzgesetzes 2004 hat der Gesetzgeber den Begriff der sozialen Schutzbedürftigkeit durch vier Kriterien ersetzt: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, etwaige Unterhaltsverpflichtungen und gegebenenfalls Schwerbehinderung. Alles andere zählt nicht.
»Einen Fall wie diesen sieht das Gesetz nicht vor«, machte Richterin Petersen deutlich. Über Sinn und Unsinn des Kündigungsschutzgesetzes könne man lange diskutieren, aber die Kündigung dieses Klägers sei unwirksam.
Konsequenz das Chefs: »Es wird mir nicht noch einmal passieren, dass einer über das 65. Lebensjahr hinaus für unser Haus tätig ist«.
Der von der Arbeit freigestellte Ernst Georg T. möchte jedenfalls schnellstmöglich wieder Autos verkaufen. Az.: 3 Ca 1947/05
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Artikel vom 23.03.2006