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Die eine Patienten-Verfügung für alle Fälle gibt es nicht

Heute im Gespräch: Prof. Andreas Lübbe, Chefarzt einer Palliativstation

Bad Lippspringe (WB). Patientenverfügungen sollen verbindlicher werden - so steht es in der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD. Aber was kann de facto verfügt werden? Reinhard Brockmann fragte nach bei Professor Andreas Lübbe, Chefarzt einer Palliativstation in Bad Lippspringe.
Vorbereitet sein auf die Tage und Wochen des Abschieds. Dazu gehören Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und eine professionelle Betreuung durch Hausarzt, Hospiz oder Palliativ-Mediziner.Professor Andreas Lübbe, Chef der Palliativ-Station Cecilien-Klinik, Bad Lippspringe.

Gehören Sie zu der Minderheit in Deutschland, die für sich selbst eine Patientenverfügung ausgestellt hat?Lübbe: Ja, ich habe mit meiner Frau zusammen eine Patientenverfügung ausgefüllt, bin jedoch in manchen Aspekten vom Text der meist vorgefertigten Formulierungen abgewichen. Mir war wichtig zunächst für die vollkommen unerwartete Situation, beispielsweise die plötzliche Bewusstlosigkeit nach einem Unfall, dafür zu sorgen, dass hier einerseits viel getan, andererseits jedoch nicht unbegrenzt sinnlose Medizin an mir gemacht wird. Dazu war es wichtig mit meiner Frau darüber zu sprechen, so dass sie meine Meinung hierzu kennt und ggf. persönlich Einfluss auf das Geschehen nehmen kann. Andererseits wollte ich verhindern, dass zu früh irgendwelche Maschinen abgestellt werden. Ich habe also ganz konkret für die Situation eines »Wachkomas« die Behandlungsdauer auf drei Monate festgelegt.

Was war für Sie noch wichtig?Lübbe: Für ein chronisches Leiden, dass zum Tode führt, habe ich sehr viel offener festgelegt, wie was zu tun ist. Da ist mir zum Beispiel viel wichtiger zu wissen, dass ich zuhause sein kann und zwar umgeben von den mir wichtigsten Menschen; denn auch der Dahinscheidende hat Verpflichtungen gegenüber den Angehörigen, denn er verlässt sie ja und ihnen muss auch die Möglichkeit eingeräumt werden, mit mir zu sein.

Dann ist ja alles geregelt, oder nicht?Lübbe: Es wäre wohl ein Trugschluss zu glauben, man könne durch eine Patientenverfügung alles regeln. Die wenigsten Menschen, ich selbst als Fachmann eingeschlossen, können sehr konkret für sich bestimmen, wann was in welcher Situation getan und unterlassen werden sollte. Es könnte ja immerhin sein, dass ich im Sterben ganz andere Wünsche an die Ärzte habe, als das noch zu »guten« Zeiten der Fall war. Auch die »zeitnahe« - wir empfehlen alle zwei Jahre - erneuerte mit Datum versehene »aktualisierte« Verfügung ist dann oft nicht aktuell genug. Wichtig ist mir hier die Vorsorgevollmacht zusammen mit der Patientenverfügung, durch die ich bestimme, wer für mich in dieser Situation spricht und Entscheidungen trifft, also in meinem Falle meine Frau und dass ich eben möglichst nicht im Krankenhaus bin.

Bleibt dann immer noch etwas offen?Lübbe: Es gibt eine Restunsicherheit, die eben nicht vorhersehbar ist. Wir können uns nicht gegen alles absichern und sollten uns auch den professionell mit der letzten Lebensphase vertrauten Menschen (Pflegende, Palliativmediziner) anvertrauen, die in der Regel wissen, was medizinisch, psycho-onkologisch und seelsorgerisch das Beste für mich ist. Denn sie sprechen ja auch mit den Patienten und wollen dessen Wünsche und Sehnsüchte erfassen und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Prof. Klaus Dörner (früher Gütersloh, d. Red.) vertritt die Ansicht, dass die Aufwertung der Ethik der Autonomie des Einzelnen auch eine Dominanz des Stärkeren über die Ethik des Schwachen bedeuten kann. Es kommt hinzu, dass zunehmende »Verrechtlichung« der Medizin am Lebensende häufig viele Fragen in Bezug auf die Rechtsverbindlichkeit aufwirft.

Sie kennen die Situation von unheilbar Kranken und auch die ihrer Angehörigen. Worauf kommt es am Ende eines Lebens wirklich an? Lübbe: Auf Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Liebe, Dasein, Glauben, Hoffnung, Gemeinsamkeit, Ruhe und Frieden, Beschwerdefreiheit und die vielen individuellen liebgewohnten oder geschätzten höchst individuellen Details.

Palliativ-Medizin »ummantelt« den sterbens- meist krebskranken Patienten. Was können Sie noch tun?Lübbe: Palliativmedizin verlängert und verkürzt nicht den natürlichen Fortgang der Krankheit sondern akzeptiert sie. Das ist viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint, denn allzu häufig werden unsinnige Maßnahmen, auch in der Onkologie, durchgeführt, die das Leben nicht wirklich verlängern, aber den Patienten in die Praxis oder die Klinik zwingen. Zur Palliativmedizin gehört neben der Symptomkontrolle, die noch sehr viel mehr umfasst, als bloße Schmerzlinderung, eine andere Grundhaltung der Ärzte und Therapeuten den Patienten gegenüber, die die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten in den Mittelpunkt der Bemühungen stellt.
Leichter gesagt, als getan, denn welcher Arzt gibt zu, dass er das nicht immer für alle Patienten tut. Dennoch gibt es fundamentale Unterschiede in der Grundhaltung Palliativpatienten gegenüber. Dazu gehört auch die Art der ehrlichen und aufrichtigen und eben dadurch zeitaufwendigen Kommunikation.
Man muss über das Sterben sprechen können und über die Lebensgestaltung bis dorthin.

Artikel vom 21.03.2006