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Donald Rumsfeld

»Rückzug aus Irak wäre so, als hätte man Deutschland damals den Nazis zurückgegeben.«

Leitartikel

Dritter Jahrestag Irakkrieg

Düstere Bilanz - alle getäuscht


Von Reinhard Brockmann
»Dem Nachkriegsirak jetzt den Rücken zuzukehren wäre etwa so, als würde man das Nachkriegsdeutschland den Nazis zurückgeben«: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat in der »Washington Post« zum dritten Jahrestag der US-Präsenz an Euphrat und Tigris ein überzeugendes Bild gewählt.
Um den Aufenthalt von 133 000 US-Soldaten, mehr als 2300 Gefallene und Kriegskosten in Höhe von zig Milliarden Dollar vor dem eigenen Volk zu rechtfertigen reicht's. Wer in die Details geht, spürt, dass auch Rumsfeld im Kern lediglich sagt: Es gibt noch lange kein Zurück.
Die »Befreiten« sehen die USA nicht als ihre Retter, die Welt ist davon überzeugt, dass die Kriegsgründe der USA falsch, wenn nicht sogar ein Vorwand für anderes waren - und im Irak tobt jetzt ein Bruderkrieg, der von außen nicht mehr einzudämmen ist.
Die Regierung Bush hat alle Hände voll zu tun, ihre Sicht der Dinge zu verbreiten - mit sinkendem Erfolg. Täglich werden 60 Menschen in seinem Land getötet, argumentiert der frühere Regierungschef Ijad Allawi und widerspricht damit US-Vize Dick Cheney, einem der offenbar letzten Bush-Getreuen in Washington: »Wenn das kein Bürgerkrieg ist, dann weiß nur Gott, was ein Bürgerkrieg ist«, sagt der Iraker.
Die Rechnung ist bitter: In drei Jahrzehnten Herrschaft der Baath-Partei mit Saddam Hussein in der Führung bzw. im Präsidentenamt sollen eine Million Menschen gewaltsam ums Leben gekommen sein. Der aktuelle Blutzoll ließe sich hochrechnen auf eine weitere Million in den kommenden 45 Jahren.
Eine düstere Bilanz ist zu ziehen, egal ob mit oder ohne zweifelhafte Zahlen zur Begründung. So wenig, wie Bush am 1. Mai 2003 den Krieg für beendet erklären konnte, darf heute nach der Durchführung von Wahlen und der Errichtung demokratischer Gremien zumindest von Ansätzen einer demokratischen Grundordnung die Rede sein. Die religiösen und landsmannschaftlichen Konflikte sind sogar verfestigt worden. So mischt sich alte Rache der Schiiten an den Sunniten für Jahrzehnte der Unterdrückung mit neuem religiösem Eiferertum. Böse Begleiterscheinung ist auch die Aufwertung des unberechenbaren Irans zur stärksten Macht in Nahost.
Zufrieden sein kann Bush allein mit der ihn entlastenden Debatte sein, die sich in so renommierten amerikanischen Politik-Magazinen wie »Foreign Affairs« abspielt. Dort kommen führende Historiker und Politologen inzwischen überein, dass Saddam Hussein tatsächlich sein Umfeld und die internationale Politik erfolgreich täuschen konnte hinsichtlich der Verfügung über Massenvernichtungsmittel. Auch Saddams Selbsttäuschung hinsichtlich der Überzeugung, es bleibe bei einem »halben« Einmarsch wie 1991 von Kuwait aus, ist inzwischen aktenkundig.
Aber selbst das ist kein Freibrief für den Vormann der freien Welt. Er kann sich allenfalls damit trösten, dass alle getäuscht wurden.

Artikel vom 21.03.2006