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Wiedergutmachung an
einer alten Erfolgsstätte

In Dortmund hat Deutschland noch nie ein Länderspiel verloren

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Dortmund (WB). Es kann nichts schief gehen heute Abend. Warum? Weil die deutsche Fußball-Nationalmannschaft den mit Spannung erwarteten WM-Test gegen die USA (20.30 Uhr/ZDF) in »ihrer« Stadt austrägt. In Dortmund verlor sie noch nie ein Länderspiel.

So eine Bilanz treibt den gebeutelten Anhängern zumindest vor dem Anpfiff ja fast vor Freude Tränen in die Augen: Elf Siege, ein Unentschieden, 54:6-Tore. Im Westfalenstadion und der immer noch rüstigen Traditionsarena Rote Erde direkt nebenan hätte es seit dem ersten hier errungenen Erfolg vor 71 Jahren gegen Irland gar nicht besser laufen können.
In solcher Heimstatt geschahen auch schon kleine Nettigkeiten, die es sonst nirgends zu bestaunen gab: So erzielte der eher als »Terrier« denn als Torjäger bekannte Nationalverteidiger Hans-Hubert Vogts seinen ersten und einzigen Treffer für Deutschland in Dortmund. Es war vor 30 Jahren gegen Malta, als sich Berti kühn in die Luft schraubte und sich per Kopf am 8:0 beteiligte.
Kundschaft und Mannschaft waren in Dortmund immer besonders gut in Einklang zu bringen, und gleich nach dem 1:4 gegen die Italiener in Florenz kam der Gedanke auf, dass es die Deutschen nun wieder einmal mit Hilfe des Reviers richten müssen. Wiedergutmachung gegen die USA in unbefleckter Umgebung - nicht mal eine abwegige Vorstellung.
Allerdings trübte ein Vorkommniss die Erwartungen an die heilende Kraft von einem Länderspiel im Westfalenstadion beträchtlich. Der Konflikt zwischen Klinsmann (Bundestrainer) und Wörns (Borusse) ist hinlänglich bekannt. Daher stattete DFB-Boss Theo Zwanziger der Dortmunder Fan-Vereinigung einen Höflichkeitsbesuch ab, besänftigte und kündigte an, dass heute in 11 000 Sitzschalen der Spielstätte Versöhnungs-T-Shirts (»ihr für uns, wir für euch«) bereit liegen werden.
Diesen wohl meinenden Aktionen schloss sich auch Klinsmann an. Er nominierte mit Sebastian Kehl und Christoph Metzelder zwei Quoten-Borussen. Gestern Nachmittag rauschte die Mannschaft mal schnell vom Quartier Düsseldorf nach Dortmund, um sich 8000 Fans beim Öffentlichen Training zu zeigen. Ins Stadion hatte sich der Bundestrainer schon zu der BVB-Partie gegen Kaiserslautern getraut. Es blieb ruhig auf den Rängen, vielleicht bemerkten ihn die meisten nur nicht.
Ehrlich gesagt drücken auch ganz andere Sorgen. Aus der eigentlich vollkommen normalen WM-Prüfung gegen die USA ist ein Spiel geworden, auf dem höchste Aufmerksamkeit liegt. Inmitten deutscher Vor-WM-Panik blicken alle gebannt und gespannt nach Dortmund. Was, wenn der dortigen Erfolgsstatistik wie zum Trotz jetzt auch die »Amis« die DFB-Auswahl zum Narren halten? Schon bei der WM 2002 verhinderte nur Oliver Kahn das Dahinscheiden im Viertelfinale gegen die bärenstarke USA.
Der Münchener hütet auch heute wieder das deutsche Tor. Er wird im Nachhinein froh gewesen sein, dies in Italien nicht tun zu müssen. Das Duell des selbst gefühlten Favoriten Kahn mit Herausforderer Jens Lehmann ist in vollem Gang, zum ersten Mal seit dem Confederation Cup zählen wieder beide zum Aufgebot. Vor der WM-Nominierung am 15. Mai gibt es kein weiteres Länderspiel mehr, die Entscheidung naht. Der Bundestrainer wird sie noch vor Saisonschluss treffen, zu kurzfristig soll der Konflikstoff nicht sein.
Jürgen Klinsmann hat dazu erklärt, der unterlegene Kandidat müsse Zeit genug haben, um sich mit seiner Rolle als Nummer zwei auseinanderzusetzen. Diese Aussage bedeutet aber auch, dass der Bundestrainer nicht ausschließt, von Kahn oder Lehmann die WM-Handschuhe glatt vor die Füße geworfen zu bekommen. Er oder ich - möglich ist das.
Für das Allgemeinwohl wäre es zunächst einmal wünschenswert, wenn die Deutschen heute zu einem ansehnlichen Spiel und einem überzeugenden Sieg in der Lage wären. Dann hätten sich auch die 100 000 Euro, die der DFB für sein T-Shirt-Friedensangebot ausgab, bezahlt gemacht.

Artikel vom 22.03.2006