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Eine finale Torwart-Tragödie

Die WM 2002 in Japan und Südkorea: Kahn war der Beste - bis er patzte

Von Klaus Lükewille
Yokohama (WB). Welch ein Empfang in der Heimat. »Rudi Völler betritt soeben wieder deutschen Boden«, brüllte ein Fernseh-Reporter begeistert in sein Mikrofon. Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt: Die Erde hatte sie wieder, die Deutschen.

Von weit, weit her schwebte sie ein, die Fußball-Delegation. Yokohama - Frankfurt, die letzte Dienstreise der deutschen Nationalmannschaft im Sommer 2002. Sie hatten zwar den Pokal nicht im Gepäck, aber dafür waren viele fröhliche und sehr zufriedene Spieler an Bord. Mittendrin ein stolzer Teamchef Rudi Völler. Sie alle hatten in Japan und Südkorea viel, viel mehr erreicht, als ihnen zugetraut werden durfte.
Ein Außenseiter flog ab, jetzt landete ein Vize-Weltmeister. Eine kleine Sensation, so wurde sie auch in Frankfurt gefeiert. Auf dem Römer ließen die Fans vor allem den Teamchef hoch leben: »Es gibt nur ein Rudi Völler....«
Der genoss still die Stunden der tiefen Genugtuung. Denn wie hatten sie seine Auswahl vorher schlecht geredet und mies gemacht.
Noch nie war eine deutsche Auswahl angeblich so aussichtslos zu einer WM angetreten. Düstere Prognosen, die Völler trotzig und zugleich mutig stimmten: »Wir werden es allen zeigen.«
Der Auftakt wurde zum Spaziergang. Saudi-Arabien fertigten sie gleich mit 8:0 ab. »Das wird der Truppe Selbstvertrauen geben«, hoffte Kapitän Oliver Kahn, der sich allerdings hier irrte: Denn im nächsten Spiel gegen Irland reichte es nur zu einem mageren 1:1. Danach hieß die spannende Frage zur Gruppenlage: Weiter - oder schon weg?
Denn die Vorrunden-Entscheidung fiel im letzten Spiel gegen Kamerun. Und auf der Bank der »Löwen«, da saß ein Deutschland-Kenner mit einer Löwenmähne. Winfried Schäfer gegen Rudi Völler. Ein brisantes Trainer-Duell.
Hektisch ging es auch auf dem Rasen zur Sache. Carsten Ramelow sah »Rot«. Später behaupteten einige Experten: Erst nach dieser Karte hatte die DFB-Auswahl die besseren Karten. Zehn gegen elf.
Das ungleiche Duell gewannen die Deutschen schließlich durch Tore von Marco Bode und Miroslav Klose verdient mit 2:0. »Wir haben auch in Unterzahl die Nerven behalten und nach der Pause das bessere Spiel geliefert«, freute sich Teamchef Völler.
Das Achtelfinale war erreicht, es sollte ein Stück Schwerarbeit werden. Viele sich erinnern bestimmt: An einem Sonntagvormittag, zur Frühstückszeit, war Paraguay lange Zeit ein unangenehmer Gegner. Bis Oliver Neuville zuschlug. Zwei Minuten vor dem Abpfiff.
Ein Tor, das die Tür zur nächsten Runde öffnete. Und da wartete wieder keine ganz große Nummer. Die USA, die mussten doch zu packen sein. Von wegen, die US-Boys spielten den besseren Ball. Wie gut für die Deutschen, dass wenigstens ihre Nummer 1 in dieser Partie so richtig zupackte. Kahn hielt alles. Er war Weltklasse. Die »Bild-Zeitung« jubelte ihn ganz, ganz hoch: »Titan Kahn«.
Den Treffer des Tages erzielte Michael Ballack. Wieder 1:0. Wie gegen Paraguay. Und auch im Halbfinale sollte ein Ballack-Tor reichen. Die Südkoreaner, die vor eigenem Publikum bis in diese Vorschlussrunde stürmten, sie hatten sich müde gerannt. Kahn war wieder der große Rückhalt, nur Ballack verließ mit ernster Miene den Rasen. Er hatte mit einem Foul eine Torchance der Südkoreaner verhindert, dabei eine Verwarnung zu viel kassiert. Die Quittung: ein freier Platz auf der Zuschauer-Bank im Finale.
Vom Rasenrand aus sah Ballack wie alle anderen das unglaubliche Schauspiel. Ausgerechnet »King« Kahn, vorher der mit Abstand beste Torwart des Turniers, er patzte im Endspiel gegen die Brasilianer, die über eine Stunde nur staunten: Deutschland spielte glänzend mit. Dann die 67. Minute. Einen Schuss von Rivaldo konnte Kahn nicht festhalten, Ronaldo nahm das »Geschenk« dankend an, legte später auch das Tor zum 2:0-Endstand nach.
Der Abpfiff. Und ein Bild für alle Fußball-Geschichtsbücher: Kahn nicht mehr auf dem Posten, sondern fix und fertig am Pfosten. Da hockte er auf dem Hosenboden. Minutenlang. Verbittert. Sprachlos. Und maßlos enttäuscht. Eine finale Torwart-Tragödie.

Artikel vom 03.06.2006