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Ein Löwe gibt nicht Pfötchen

Um eine Kralle zu kürzen, legt die Tierärztin »Tram« in Tiefschlaf

Von Monika Schönfeld
(Text und Foto)
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). »Sein Adrenalinspiegel ist mindestens so hoch wie meiner«, lacht Tierärztin Dr. Marianne Nieder, als sie im zweiten Versuch »Tram« mit dem Blasrohr schlafen gelegt hat. Das Blasrohr ist für den 14 Jahre alten Löwen wie für alle Raubkatzen ein rotes Tuch - meistens bedeutet es, dass sie geimpft werden. Und das piekst. Diesmal bedeutet es für »Tram« eine Stunde Tiefschlaf. Danach wird er sich besser fühlen, ist er doch die Kralle am linken Fuß los, die im ins Fleisch gewachsen war.

Unter den Raubkatzen ist »Tram« ein alter Herr. In freier Wildbahn wäre er vermutlich schon in den ewigen Jagdgründen - in Gefangenschaft hat er mit Glück noch sechs Jahre zu leben. Aber er ist nicht mehr der Jüngste und eben schon ein bisschen faul geworden. Fressen und Saufen bekommt er von seinen Menschen im Hollywood- und Safaripark, als Chef des Rudels ist auch für andere Bedürfnisse bestens gesorgt. Warum sollte er sich die Mühe machen, die Eiche als Kratzbaum zu benutzen? Da der alte Herr schon ein bisschen schlurfend läuft, sind die Krallen an den Hinterbeinen tipp-topp in Ordnung. Aber die vorne wachsen. Und eine ist ihm etwa drei Zentimeter ins Fleisch gewachsen.
Bemerkt hat das Tierinspektorin Inka Schumacher, oberste Chefin aller Tierpfleger im Hollywood- und Safaripark Stukenbrock. »Er war grummelig, einfach schlecht gelaunt. Aber er hinkte nicht.« Trotzdem meinte sie, es müsste eine Kralle sein, die ihm Schmerzen verursacht. Da eine 200 bis 220 Kilogramm schwere Raubkatze aber nicht einfach so Pfötchen gibt, kann man das nur auf eine Weise feststellen. Wenn der König der Tiere narkotisiert ist.
Dr. Marianne Nieder und Kollegin Dr. Claudia Tillmann zogen die »Hellabrunner Mischung« auf. Hochdosierte fünf Milliliter Schlaftrunk sollten ihn per Blasrohr in den Oberschenkel mitten in die Muskeln treffen. Gut gezielt - und - nein, das war mit zu wenig Puste. Der zweite Schuss saß. »Zwanzig Minuten geben wir ihm«, sagte Marianne Nieder und scheuchte die versammelten Fotografen und Kameraleute aus dem Löwenhaus. Ist das Tier zu aufgeregt, könnte er vielleicht nicht einschlafen. Nach 25 Minuten liegt er tatsächlich tief atmend auf seinem Strohbett. Parkchef Fritz Wurms organisiert Fluchtwege für die Journalisten, die erstmals einen Löwen im Käfig besuchen dürfen. Inka Schumacher hält Hals und Maul des Löwen vorsichtshalber mit Besen und Schrubber nieder gedrückt - das verschafft den Neugierigen im Fall der Fälle einige Sekunden Zeit zur Flucht.
Aber »Tram«, seit 1997 im Hollywood- und Safaripark und damit erster weißer Löwenmann in Europa, schläft - mit offenen Augen, wie es Löwen nun mal tun. Geboren wurde er in einem Zoo in Japan, in Tohiku, 200 Kilometer nördlich von Tokio. In Stukenbrock hat er mindestens 15 weiße Löwchen gezeugt - jüngster Spross ist der ein Jahr alte Abasi, der seinem Vater in spätestens zwei Jahren Konkurrenz machen wird. »Ich habe schon zwei Mädchen für dich«, schäkert Fritz Wurms mit Abasi - es sind die am 20. Oktober geborenen weißen Löwenmädchen Nala und Lubaye - selbstverständlich aus einer anderen Linie als der von »Tram«.
Mindestens die nächsten zwei Jahre kann Abasi aber noch nicht an der Herrschaft seines Vaters kratzen. Nachdem die Kralle gekürzt und die Wunde mit Antibiotika versorgt worden war, nutzte Tierärztin Dr. Marianne Nieder die Chance für eine »Inspektion«. Es wurde ihm Blut abgezapft, das Herz abgehört, in die Ohren und ins Maul geschaut. Er macht eine gute Figur für sein Alter, so das Urteil der Fachfrau. Nicht zu fett, Zähne völlig in Ordnung, das Herz ist stark. Gute Pflege, bescheinigt sie dem Team im Safaripark. Dann bekommt »Tram« das Aufwachmittel und wird schön mit Stroh zugedeckt, damit er weich liegt, wenn er aufwacht. »Wie Menschen nach der Vollnarkose, wird er ein bisschen beduselt sein.«

Artikel vom 18.03.2006