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Wie ein Vogel
ohne Flügel

Das versteckte Leben Anne Franks

Von Andreas Windmann
(Text und Foto)
Löhne (LZ). Laut lachen und sprechen dürfen sie nicht, die Fenster haben sie zugehängt und jedes Auto, das anhält, kann den Tod bringen: So sieht es aus, wenn Leben illegal ist. Eine beklemmende Vision davon brachte am Donnerstagabend das »Fliegende Theater« aus Berlin mit seinem Stück »Anne Frank - Verstecktes Leben« in der Werretalhalle auf die Bühne.

Das Stück zeigt die letzten Jahre im Leben von Anne Frank, die sich von 1942 bis 1944 mit ihrer Familie in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nazis versteckt hielt. Ein gewöhnliches Schauspiel mit Akten und verschiedenen Rollen gab es allerdings nicht zu sehen; statt dessen ließ der einzige Schauspieler Rudolf Schmid gespenstische Puppen tanzen, sang traurige jüdische Weisen oder machte Platz für Videoeinspielungen von Nazi- Aufmärschen, während aus dem Hintergrund Einträge aus Anne Franks Tagebuch zu hören sind.
Es ist ein albtraumhaftes und dabei erschreckend reales Bild des versteckten Lebens der Anne Frank, das die Berliner Theatertruppe zeichnet. Mit Tisch, Kommode und in faulige Brauntöne getaucht, gibt das düstere Bühnenbild die drangvolle Enge des Verstecks wieder. Hier harrte die Familie zwei Jahre lang aus, in ständiger Furcht entdeckt zu werden. Doch der Holocaust rückte immer näher: »Zahllose Freunde und Bekannte sind weg, zu einem schrecklichen Ziel«, schrieb Anne Frank am 19. November 1942 in ihr Tagebuch. Sie selbst fühlte sich »wie ein Vogel, dem die Flügel mit harter Hand ausgerissen wurden.«
Es gab aber auch hoffnungsvolle Momente: Im Radio hört Anne vom Vorrücken der Alliierten Truppen, aus einem alten Unterrock bastelt sie sich ein Ballkleid. »Ich liebe die Menschen und ich will, dass alle mit mir zusammen glücklich sind«, sagt sie, und Rudolf Schmid malt ein Bild. Dann aber wieder die Schilderung des industriellen Massenmordes in Auschwitz, die skelettartigen Puppen werden wie die Fliegen vom Tisch gefegt, aus dem Hintergrund tönen Reden von Nationalsozialisten. Kalte Schauer laufen dem Betrachter über den Rücken, wenn im nüchtern-funktionalistischen Jargon der NS-Funktionäre die »verkehrstechnisch günstige Lage« des Konzentrationslagers gelobt wird.
Anne Frank konnte der Vernichtungsmaschinerie nicht entkommen: Sie wird entdeckt und ins KZ Bergen-Belsen eingeliefert, wo sie 1945 an Typhus stirbt. Mit »Verstecktes Leben« gelang dem »Fliegenden Theater« eine eindrückliche Darstellung ihres verzweifelten Überlebenskampfes im Amsterdamer Versteck.

Artikel vom 18.03.2006