18.03.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Wachkoma: Was bleibt, ist Hoffnung

Rentner verliert 20 Stunden nach Unfall das Bewusstsein - Ehefrau kritisiert Klinik

Von Christian Althoff
Rahden (WB). Die Diagnose ließ Waltraud K. (60) aufatmen. »Die Ärztin sagte: Ihr Mann hat nur ein paar Rippenbrüche, das wird schon wieder.« 20 Stunden später lag der 66-Jährige in einem Koma, aus dem er seit zehn Wochen nicht mehr erwacht ist.
Täglich saß Waltraud K. im Krankenhaus Rahden am Bett ihres Mannes, der im Januar ins Koma gefallen war. Fotos: Althoff»So sah Petros aus, als ich ihn 1964 auf dem Schützenfest in Rahden kennenlernte«, sagt Waltraud K., die den aus Griechenland stammenden Restaurantfachmann 1965 geheiratet hatte. Das Paar hat zwei erwachsene Söhne.
Küchenhelferin Waltraud K. stand am 3. Januar an ihrem Herd im Krankenhaus Rahden (Kreis Minden-Lübbecke), als sie durchs Fenster sah, wie ein Krankenwagen auf den Hof rollte. »Die Sanitäter zogen die Trage heraus, und ich erkannte meinen Mann Petros.« Der Rentner war gegen 9.45 Uhr mit seinem Fiat Punto auf möglicherweise eisglatter Straße ins Schleudern geraten und gegen einen Baum geprallt. »Ich bin sofort in den Schockraum gelaufen. Mein Mann konnte alleine gehen und war voll ansprechbar«, erinnert sich die Frau. Er sei geröntgt und mit Verdacht auf Rippenbrüche auf der chirurgischen Station aufgenommen worden.
»Als ich nachmittags nach Petros sah, klagte er über schwere Atemnot. Mein Mann hat zwei Krebstherapien hinter sich und ist alles andere als wehleidig. Deshalb verständigte ich sofort eine Krankenschwester, aber die beruhigte mich und sagte, der Arzt wisse schon Bescheid.« Waltraud K. verabschiedete sich damals, um sich um das Unfallauto zu kümmern. Sie ahnte nicht, dass es das letzte Mal gewesen sein sollte, dass sie mit ihrem Mann sprechen konnte.
Der Anruf aus dem Krankenhaus erreichte die Rahdenerin am nächsten Morgen: »Ein Arzt sagte, mein Mann habe um 6 Uhr einen Herzstillstand erlitten, aber ein Pfleger habe ihn wiederbeleben können.« Seit jenem 4. Januar liegt Petros K. im Koma. »In den ersten Tagen öffnete er noch seine Augen, wenn ich ihn laut ansprach, aber die Reaktionen haben abgenommen.« Zwei Wochen habe ihr Mann Krankengymnastik bekommen, dann habe das Krankenhaus seine Bemühungen eingestellt. »Schlimmer noch: Die Ärzte meldeten Petros versehentlich nicht für eine neurologische Früh-Reha an, sondern für eine Reha zur Wiedereingliederung in den Alltag. Die wurde von den Rehakliniken natürlich wegen mangender Erfolgsaussichten abgelehnt.« Wertvolle Wochen seien verstrichen, bevor das Missverständnis aufgeklärt werden konnte. »Vom Krankenhaus habe ich überhaupt keine Informationen zum Thema Wachkoma bekommen. Ich habe mir mein Wissen in der Stadtbücherei anlesen und bei einer Selbsthilfegruppe nachfragen müssen«, erzählt Waltraud K. Verbittert sei sie auch über die Art, wie ihr Mann zuletzt behandelt worden sei: »Ich saß an seinem Bett, als Ärzte während der Visite an unserem Zimmer vorbeigingen und sagten, hier sei ja nichts mehr zu machen. Sie haben einfach nicht nach Petros gesehen.«
Der stellvertretende Ärztliche Direktor Dr. Elmar Axnick sagte, die derzeitige Verfassung der Ehefrau sei menschlich verständlich. »Es ist ein schwerer Schicksalsschlag, wenn man seinen Ehepartner in einem solchen Zustand erleben muss.« Allerdings halte er die Kritik an den Ärzten nicht für gerechtfertigt: »Wir haben wirklich alles für den Patienten getan. Es hat viele Telefonate gegeben, um einen Rehaplatz zu finden, und wir haben einen externen Neurologen hinzugezogen, um eine weitere Meinung zu hören«.« Dass bei einer Visite nicht nach dem Kranken geschaut worden sein soll, halte er für ausgeschlossen.
Bemängelt wird von der Ehefrau auch der Pflegezustand ihres Mannes: »Ich kam mir vor wie eine Almosenempfängerin, wenn ich immer wieder darum bitten musste, meinem röchelnden Mann den Schleim abzusaugen oder das seit Tagen schmutzverkrustete Band zu wechseln, an dem sein Luftröhrenkatheter befestigt war.« Auch diese Darstellung bezeichnet Dr. Axnick als unzutreffend: »Die Pflegekräfte haben sich wirklich mit viel Engagement um den Kranken gekümmert. Vielleicht ist es ja so, dass die Ehefrau ihre Situation nicht akzeptieren kann und einen Schuldigen für ihr Schicksal sucht, für das niemand etwas kann?«
In dieser Woche ist Petros K. in das Alten- und Pflegeheim »Stemweder Berg« verlegt worden. Dort wird er künstlich ernährt und betreut, bis in einer Klinik ein Rehaplatz frei ist. »In Stemwede wird mein Mann liebevoll umsorgt«, sagt die 60-Jährige. Sie weiß allerdings noch nicht, wie sie die nahezu 3000 Euro aufbringen soll, die der Heimplatz pro Monat kosten wird. »Das Pflegegeld reicht nicht. Ich werde mich ans Sozialamt wenden müssen«, erklärt die Küchenhelferin, die in diesen Tagen noch viele Gänge vor sich hat. Sie muss beim Amtsgericht die Betreuung ihres Mannes beantragen, mit der Krankenkasse sprechen, und sie will sich an die Gutachterkommission der Ärztekammer wenden: »Man hat mir im Krankenhaus gesagt, dass mein Mann den Herzstillstand erlitten hat, weil eine Rippe in die Lunge eingedrungen war. Ich frage mich, ob man das nicht schon bei seiner Aufnahme hätte feststellen müssen.«
Eigentlich, sagt Waltraud K. nachdenklich, habe sie ihren Mann am 3. Januar nach 30 Jahren Ehe verloren. »Aber ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass ein Stück von Petros zurückkehrt. Und er eines Tages zumindest wieder ansprechbar ist.«

Artikel vom 18.03.2006