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Eine verhaltene Leidensgeschichte

Musikverein führte Johannes-Passion in der Altstädter Nicolaikirche auf

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Johann Sebastian Bachs Passionen sind ein Selbstläufer. Besonders die Johannes-Passion -Êkürzer, konziser und dramatischer als die Matthäus-Passion - erfreut sich beim Publikum großer Beliebtheit. Auch der Musikverein erreichte beim Auftakt der Passionskonzerte in der Altstädter Nicolaikirche erwartungsgemäß eine große Hörergemeinde.

Ob der Genius der Musik wirklich übersprang, bleibt dahin gestellt. Sicherlich, die Choräle boten den gebührenden Raum für Versenkung, Kontemplation, Anrührung und Trost. Wolfgang Helbich setzte hier ganz auf weihevollen Pathos und zarte Innigkeit, wofür er die Tempi so manches Mal bis zur Schmerzgrenze dehnte und ein ganz eigenwilliges Rubato pflegte.
Am Auffälligsten wohl im Schlusschor »Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine« wo Helbich große Freiheit bei der rhythmischen Auslegung walten ließ. Ob diese Extravaganzen wirklich dem Ausdruck eines inneren Friedens dienen, sei dahin gestellt. In jedem Fall aber war zu vernehmen, dass der ansonsten gut aufgestellte und einstudierte Chor (Martin Fugmann und Wolfgang Helbich) in Bezug auf Intonationsreinheit an seine Grenzen stieß, wenn Tempo und Dynamik auf ein Minimum heruntergeschraubt wurden.
Nun kennt man den künstlerischen Leiter des Musikvereins als charismatischen Dirigenten, der gerne an der Dramatikschraube dreht und der überschwänglich, pointiert und artikulationsprägnant aufspielen und singen lässt.
Unverständlich ist daher, weshalb ausgerechnet die szenisch gewirkten Passagen eher blass blieben. Die Turba-Chöre -Ê zurückhaltend aufgefächert - ließen Schärfe und treibende Kraft in Bezug auf Hohn, Spott und Hetze vermissen. Obgleich präzise - sowohl im Chor als auch im philharmonischen Orchester mit ausgezeichneten Solisten - ausformuliert, wirkte die Wiedergabe über weite Strecken verhalten und spannungsarm.
Profunde Gesangssolisten mussten sich ins Konzept einfügen, konnten aber mit Wohlklang und sensibler Ausdeutung Glanzpunkte setzen. Allen voran Knut Schoch in der Rolle des Evangelisten, der seinen Part mit Inbrunst gestaltete und vielfältige Ausdrucksfacetten zeigte. Nicht minder überzeugten: Melanie Kreuter (Sopran), Ursula Eittinger (Alt), Philip Lanshaw (Bass/Christus) und Markus Flaig (Bass/Arien).

Artikel vom 18.03.2006