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Zu Kaisers Zeiten
aufgewachsen

Frieda Roos wird heute 100 Jahre alt

Brackwede (ptr). »Ich kann manchmal selbst gar nicht glauben, dass ich wirklich so alt bin«, sagt Frieda Roos, die am heutigen Montag ihren 100. Geburtstag feiert. Manch anderer wird sich angesichts dieses biblischen Alters ebenfalls verwundert die Augen reiben, denn die alte Dame strahlt nach wie vor eine Lebensfreude aus, von der sich deutlich Jüngere getrost eine dicke Scheibe abschneiden können.
Wenn Frieda Roos ihr Leben Revue passieren lässt, ziehen ganze Epochen der deutschen Geschichte an ihr vorüber. Geboren in Dissen/Rothenfelde, wuchs sie zu einer Zeit auf, »als in Deutschland noch ein Kaiser regierte«. Die Kindheit sei insgesamt eine glückliche Zeit gewesen. Nur der Vater, der an den Folgen eines Kriegsleiden aus dem Ersten Weltkrieg starb, als Frieda erst sieben Jahre alt war, habe sehr gefehlt.
Nach der Schule machte sie eine Lehre als Schneiderin und war solange in diesem Berufszweig tätig, bis sie ihren Mann Stefan, einen gebürtigen Franken aus Würzburg, 1929 heiratete. Kennen gelernt hatten sich die beiden beim Tanzen in Bielefeld. Stefan war als gelernter Druckereimaschinen-Monteur für seine süddeutsche Firma des öfteren in der Region tätig. Es folgte der Umzug nach Bielefeld. Zunächst wohnte das Paar kurz im Bereich Gadderbaum, später dann dauerhaft in Brackwede.
Mit dem Zweiten Weltkrieg erlebte Frieda Roos die wohl schwerste Zeit ihres Lebens. Ihr Mann musste zwar nicht an die Front, da er als Monteur wichtiger für die Industrie war. »Aber den letzten Bombenangriff auf Brackwede haben wir abgekriegt«, erzählt sie. Rings um das zerstörte Haus seien elf tiefe Bombenkrater zu zählen gewesen. Mit ihren drei Kindern Wolfgang, Siegried und Werner musste sie umziehen. Bekannte an der Hauptstraße boten dem Paar einen Unterschlupf, bis das alte Haus, in dem sie zur Miete gewohnt hatten, wieder stand. Frieda Roos half beim Wiederaufbau in Brackwede fleißig mit: »Auch ich bin eine Trümmerfrau gewesen.«
Nach dem Krieg begann wieder eine glücklichere Zeit. Gemeinsam mit ihrem Mann reiste Frieda Roos viel durch Deutschland, vorzugsweise nach Bayern oder Österreich. »Dort wo Berge und Seen waren, gefiel es uns am besten.« Der unerwartet frühe Tod ihres Mannes 1968 zwang sie jedoch erneut zu einer Neuorientierung. Die nun viel zu große Wohnung am Brackweder Marktplatz gab sie für eine kleinere auf, zog schließlich 1980 in das Neubaugebiet Auf der Schanze, wo sie heute zu den letzten Bewohnern der ersten Stunde gehört.
»Als Hausfrau und Mutter waren meine drei Kinder und vier Enkelkinder immer ein zentraler Punkt in meinem Leben«, sagt sie. Mittlerweile ist auch das erste Urenkelkind hinzu gekommen. Geburtstagswünsche hat sie in ihrem Alter keine mehr. Nur gesund und geistig fit will sie bleiben, um wie bisher an die frische Luft oder zum Frisör gehen zu können und regelmäßig mit den Nachbarn im Haus zu klönen. Da sie mit 100 Jahren noch kein Hörgerät braucht und die Brille allenfalls zum Lesen oder Fernsehen auf die Nase setzt, braucht man sich in diesem Punkt jedoch wohl kaum Sorgen zu machen.

Artikel vom 20.03.2006