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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Mose hatte sich nicht getäuscht: Sein Gang zum Pharao war ein krasser Misserfolg Für die Israeliten kam es dadurch nur noch schlimmer. Ebenso war der Weg in die Freiheit kein bequemer Spaziergang, sondern eine einzige Strapaze. Sein eigenes Volk erwies sich zudem als äußerst misstrauisch von Anfang an, blieb widerspenstig und war in Gedanken fast immer auf dem Sprunge, dorthin umzukehren, wo es - trotz aller Unterdrückung und trotz aller Entbehrungen - im Vergleich angeblich immer noch besser gewesen war.
Ein dunkles, weil grausames Kapitel bilden die zehn Plagen, die Gott über Ägypten kommen lässt, um dessen Machthaber zum Einlenken zu bewegen. Zweierlei aber geht aus ihnen hervor: Erstens führt Gott seinen Plan zum Ziel und bricht dabei menschlichen Widerstand. Mächte, die sich über seinen Willen hinwegsetzen, haben auf Dauer keinen Bestand. Gottes Feinde kommen um. Zweitens können Menschen so verblendet sein, die Zeichen der Zeit und die Vorboten noch größeren Unheils auch dann noch zu ignorieren, wenn ihnen bereits das Wasser bis zum Halse steht. Für beide Thesen liefert gerade das 20. Jahrhundert unwiderlegbare Beispiele.
Aber auch der Weg in die Freiheit ist nicht billig zu haben. Zunächst führt er durch die Fluten des Meeres, das einen zu verschlingen droht, und dann durch die Wüste. »Meer« und »Wüste« sind aber nicht nur geographische Begriff, sondern auch Symbole für das, was in Lebenskrisen, in diesem Fall auf dem Weg aus der Knechtschaft in die Freiheit, geschieht.
Einem Menschen können eines Tages die Augen dafür aufgehen, dass er eigentlich nie selber gelebt hat, sondern immer nur gelebt wurde, sich vorgegebenen Ordnungen ohne Nachdenken einfach nur angepasst und den Erwartungen anderer so entsprochen hat, als hätten sie über ihn zu befehlen und über seinen Wert als Person zu befinden. Das zu durchschauen ist eine Sache; sich daraus befreien zu lassen, freilich eine ganz andere. Denn die Befreiung führt durch unbekanntes Gelände. Ob man ein Ziel erreicht und wie man es erreicht, ist dabei noch gänzlich ungewiss Es können Kesseltreiben eröffnet werden, die einen zurückbringen sollen und denen man nur aus eigener Kraft wohl nicht gewachsen ist.
Die Befreiung Israels und sein Zug durch die Wüste bilden dieses alles ab. Sobald Schwierigkeiten auftauchen, bekommt Mose zu hören: »Waren nicht Gräber in Ägypten, dass du uns wegführen musstest, damit wir in der Wüste sterben? Warum hast du uns das angetan« (2. Mose/Exodus 14, 11)? Das Jammern und Murren des Volkes, das sich nach den Fleischtöpfen in der Sklaverei zurücksehnt, durchzieht die ganze Wüstenwanderung wie ein Leitmotiv. Probleme, die zeitweise unvermeidlich, aber doch überwindbar sind, lassen die bedrückenden und unerträglichen Zustände der Vergangenheit in einem milderen Licht oder als das kleinere Übel erscheinen. Sie erwecken sogar den Eindruck, zuvor sei alles besser gewesen.
Immer wieder ist Mose die Zielscheibe, auf die sich der Unmut seines Volkes richtet. Wer hätte ihm da verübelt, wenn er schließlich resigniert und aufgegeben hätte? Oft genug war er ja auch drauf und dran, dies zu tun. Doch Mose hat die Schule Gottes durchlaufen, aus der man nie entlassen wird. Daher kann er diese verzagten und störrischen Menschen aufrichten: »Fürchtet euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der Herr ... an euch tun wird« (2. Mose/Exodus 14, 13).
Freiheit zu erlangen - heißt das - setzt Stehvermögen voraus. Der Marsch durch die Wüste - bedeutet das weiter - geschieht nach dem Willen Gottes, und er gibt die Kraft dazu. Er gewährt sie zwar nicht auf Vorschuss und im Überfluss, doch immer genug für den nächsten Schritt. So ermutigt Mose die ihm Anbefohlenen, auf Gott ihr Vertrauen zu setzen und damit die Erfahrung zu machen, dass der über Möglichkeiten verfügt, die noch kein Mensch kennt, die ihn aber an das Ziel führen, das er für sie ausersehen hat (nachzulesen: 2. Mose/Exodus 7-17).

Artikel vom 18.03.2006