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Sensoren warnen vor dem Unglück

Fraunhofer-Gesellschaft informiert Unternehmer über die Techniken der Zukunft

Von Dietmar Kemper
Detmold (WB). »Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung«, behauptete Kaiser Wilhelm II. und irrte sich gewaltig. Die Menschheit blickt auf 100 000 Generationen zurück, aber der technologische Wandel beschleunigt sich erst seit relativ kurzer Zeit.
Sensoren, hier angebracht auf optoelektronischen Baugruppen der MAZeT GmbH in Jena, sind das Nervensystem von Maschinen. Sie übermitteln Daten und steuern die komplexen Vorgänge. Foto: dpaHorst Behlau: »Der technologische Wandel beschleunigt sich rapide.«

Vor 24 Generationen entstand der Buchdruck, vor zwei Generationen der Computer. »Wir haben technologisch noch einiges im Ärmel«, sagte Horst Behlau von der Fraunhofer Gesellschaft (München) bei seinem Überblick über die Zukunftstrends. Auf Einladung der Technologie- und Gründerzentren sowie der Industrie- und Handelskammern in Ostwestfalen-Lippe sprach er in Detmold über adaptive Materialien, digitalisierte Produktion und die Mensch-Maschine-Kommunikation.
Die Zukunft wird spannend und sicherer. »Man kann sich gegen jede Bedrohung wehren«, glaubt Behlau und verwies auf das so genannte Health Monitoring. Dabei sorgen Sensoren dafür, »dass sich Geräte selbst melden, kurz bevor sie versagen«. Damit sollen Unfälle wie der im August 1998 in Eschede verhindert werden, als ein defekter Radreifen am ICE den Tod von 101 Menschen einleitete.
Apropos Sicherheit und Gesundheit: Die Nanotechnologie macht enorme Fortschritte. Dank ihr wird es bald möglich sein, dass winzige Nanopartikel Wirkstoffe gezielt in das kranke Gewebe transportieren oder dass goldbeschichtete Nanohülsen an Tumoren andocken, per Infrarot aufgeheizt werden und den Krebsherd abtöten. Als Sammelbegriff bezeichnet Nanotechnologie Forschung an winzigen Strukturen und Prozessen. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter. Größer, nämlich einige Zentimeter, sind die persönlichen Gesundheitsassistenten - Sensoren, die heute schon direkt am Organ Körperfunktionen wie den Herzschlag messen und die Werte an Ärzte übermitteln.
Neben den Lebenswissenschaften gehört der digitalisierten Produktion die Zukunft. Autos könnten am PC bis ins kleinste Detail geplant werden, so dass der Bau von Prototypen überflüssig werde, berichtete Behlau. In den Fabriken würden in den nächsten Jahrzehnten immer häufiger »smart materials« verwendet, Stoffe also, die ihre Gestalt oder Eigenschaften während der Nutzung verändern. Als Beispiele nannte Behlau die Flügel von Passagier- oder Militärmaschinen, die sich den Bedingungen in der Luft anpassen, und die künstlichen Prothesen, die Vibrationen und Stöße beim Gehen auffangen.
Der Experte der Fraunhofer-Gesellschaft erwartet außerdem virtuelle Welten, die sich kaum noch von der Realität unterscheiden lassen, intelligente Etiketten, mit denen sich der Weg einer Ware lückenlos verfolgen lässt, und verständnisvolle Maschinen. Behlau: »Bislang haben wir versucht, Geräte zu verstehen - in Zukunft wird es umgekehrt sein.« Eine fortgeschrittene Mensch-Maschine-Kommunikation werde dazu führen, dass der PC erkennt, wenn sein Nutzer ärgerlich oder traurig ist.
Allerdings verlocken technische Möglichkeiten dazu, sie voll auszuschöpfen und einen Alltagsgegenstand komplizierter zu machen als nötig. Ein VW-Käfer in den 50er Jahren kam mit neun elektrischen Leitungen aus. Im Luxusmodel Phaeton von Volkswagen stecken heute 400 Sensoren, 70 Steuergeräte und 2110 Leitungen mit einer Gesamtlänge von 3860 Metern. Auch wenn zu viel Technik Autos störanfällig macht, gehört dem Pferd trotzdem nicht die Zukunft.

Artikel vom 18.03.2006