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»Zwischen tiefgreifgenden Reformen und dem Wissen, auf Erfolge noch lange warten zu müssen.«

LeitartikelDie neue »Denke« in NRW

Voll die Krise in den Amtsstuben


Von Reinhard Brockmann
Er sei bei manchen Diskussionen im Lande mit Blumen beworfen worden, »an denen noch die Töpfe hingen«. Das berichtete in dieser Woche ein FDP-Abgeordneter im Landtag. Der schwarz-gelben Regierung bläst der politische Wind kräftig ins Gesicht.
Auch Ministerin Barbara Sommer (CDU) darf derzeit nicht müde werden, ihre Vorstellungen von Schulempfehlungen, Bezirken und neuen Freiheiten Lehrern, Eltern und Verbänden klar zu machen. Finanzminister und Innenminister müssen massive Sparmaßnahmen vertreten und immer wieder erklären, warum sie weniger spendieren wollen/müssen als ihre abgewählten Vorgänger. Dabei können die Neuen kaum noch die alten Zeiten haftbar machen. In der Sache mag das angesichts der Hinterlassenschaft der Kabinette Rau, Clement und Steinbrück zulässig sein, beim Publikum verfängt das nicht mehr.
Der Rüttgers-Club befindet sich in einer Übergangsphase zwischen ersten tiefgreifenden Reformen und dem Wissen, dass noch lange nicht mit sichtbaren Erfolgen zu rechnen ist. Mehr noch. Die Reformmaschine läuft gerade erst zu höherer Drehzahl auf.
Noch rigoroser als die soeben beschlossenen Studiengebühren wird etwa das Hochschulfreiheitsgesetz die Bildungslandschaft umkrempeln. Die Beamten und Langzeit-Angestellten der auf eigene Füße gestellten Universitäten behalten zwar ihre Unkündbarkeit, glauben aber dennoch aus Sorge um den Arbeitsplatz, die gewohnte Leistung nicht mehr erbringen zu können. Vielleicht sollten sich solcherart maulende Betriebsräte mal das Engagement von Beschäftigten in der freien Wirtschaft oder an anderen europäischen Unis anschauen...
Dennoch: Auch Klagen auf allerhöchstem Niveau vermiesen die notwendige Aufbruchsstimmung.
Die neue Philosophie aus Selbstverantwortung und Leistungserwartung hat sich noch nicht bis in alle Ecken des Landes herumgesprochen. Dabei scheint die Opposition für Jürgen Rüttgers und seine Ministerriege gar nicht das Problem zu sein. Dort hat man den Systemwechsel klar erkannt und formuliert ihn knallhart politisch - der normale parlamentarische Alltag.
Betroffene sowie mittlere und untere Behörden erweisen sich als die echten Bedenkenträger. Weil vieles nicht mehr genauso gemacht werden soll, wie immer schon, bricht in manchen Amtsstuben voll die Identitätskrise aus.
Die neue »Denke« hat es schwer. Schulpolitikerin Ursula Doppmeier (CDU) erlebt bespielsweise, dass so mancher Teilnehmer nach einem der vielen Informationsgespräche beim Rausgehen erklärt, die neue Sicht sei wohl doch nicht total verkehrt.
Das politische Geschäft ist zäh, und mancher in der Landesregierung hat nicht damit gerechnet, dass das zu bohrende Brett dermaßen dick sein könnte. Wenn dann noch hinzu kommt, dass selbst Parteifreunden die eine oder andere Reform entschieden zu weit geht, dann liegen die Nerven wirklich blank.

Artikel vom 18.03.2006