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18 Monate auf Friedhöfen gelebt

Rentner (66) aus Gütersloh flüchtete aus Angst vor seinem Betreuer

Von Wolfgang Wotke
Oerlinghausen/Gütersloh (WB). Mit 1,14 Euro in der Tasche verschwand er. »Ich wollte nur weg, hatte große Angst vor meinem Betreuer Olaf O.«, sagt Rudolf Plato aus Gütersloh. Der obdachlose Rentner (66) schlief dann 18 Monate lang auf Friedhöfen, auf schäbigen öffentlichen Toiletten oder in Hauseingängen und bettelte um Essen.

»Ich bin so glücklich, dass das alles vorbei ist«, erzählt Rudolf Plato und blickt zufrieden aus seinem Fester, trinkt dabei einen kräftigen Schluck heißen Kaffee. Man hat den Eindruck, dass innerhalb von wenigen Sekunden sein altes Leben an ihm vorüberzieht. Der ehemalige Arbeiter hat nach einer Odyssee quer durch Ostwestfalen-Lippe endlich ein eigens Zuhause gefunden. Er bewohnt ein bescheidenes Zimmer im Anbau eines Altenheims in Oerlinghausen: ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Tisch, vier Stühle, zwei Kommoden, ein Fernseher und eine kleine Küche. Mit 66 Jahren, sagte Plato, fange sein Leben jetzt erst richtig an: »Hier will ich nie wieder weg.«
Vor zehn Jahren besaß er zusammen mit seiner mittlerweile verstorbenen Mutter (84) ein kleines Vermögen: Bargeld und ein Häuschen im Grünen. Bis zu dem Tag, als der bereits angeklagte Gütersloher Rechtsanwalt Olaf O. die Betreuung von Rudolf Plato übernahm. Mit getürkten Rechnungen, einer EC-Karte und fadenscheinigen Anschuldigungen bei Gericht (»Ich muss seine Schulden regulieren«) soll er das Konto seines ihm anvertrauten Klienten restlos geplündert haben. Auch das Haus soll der frühere Berufsbetreuer einfach verkauft haben. Platos Rechtsanwalt Dr. Peter Oberwetter (Gütersloh) hat eine umfangreiche Klage eingereicht: »Wir wollen 145 000 Euro zurück. Darin ist auch Schmerzensgeld enthalten.« O. soll sogar in seinen Vernehmungen falsche Aussagen gemacht habe. Oberwetter: »Das ist ungeheuerlich. Er behauptete bis zuletzt, dass er Rudolf Plato angeblich aus München, aus Hamburg oder aus Tschechien mehrmals abgeholt hat. Diese Reisen rechnete er dann auch ab.«
Gegen Olaf O. ist vor drei Wochen vom Landgericht Bielefeld Anklage wegen Betruges, Untreue und Urkundenfälschung insgesamt 82 Fällen erhoben worden. Er soll die ihm anvertrauten Menschen um mehr als 1,2 Millionen Euro gebracht haben, um so sein Luxusleben finanzieren zu können. Rudolf Plato ist nur einer von vielen Betroffenen. Er lebt heute von 720 Euro Rente und meint traurig: »Ich will Gerechtigkeit und dann meine Ruhe.«

Artikel vom 16.03.2006