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100 Filialen
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Verbraucherzentralen in Geldnot

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Obwohl der Beratungsbedarf der Deutschen wächst, kürzen die Bundesländer die Zuschüsse an die Verbraucherzentralen. Seit dem Jahr 2000 sei die Zahl der Beratungsstellen von 250 auf 150 zurückgegangen, sagte der Sprecher der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin, Carel Mohn, dieser Zeitung.

»Indem die Länder die Infrastruktur beschädigen, zwingen sie die Verbraucherzentralen dazu, ihr Angebot auszudünnen«, beklagte Mohn. In den Beratungsstellen seien nur noch 1000 Mitarbeiter beschäftigt, viele davon nur halbtags und auf Honorarbasis. Die Verbraucherzentrale Mecklenburg-Vorpommern habe wegen der gekürzten Zuschüsse Insolvenz anmelden müssen, in Thüringen habe man dieses Schicksal nur knapp abwenden können.
Aber auch im Westen ist die Situation alles andere als rosig. Anrufer in den Beratungsstellen in Baden-Württemberg werden auf eine harte Geduldsprobe gestellt. »Weil genügend Leitungen und Mitarbeiter fehlen, liegt die Quote derer, die durchkommen, bei unter fünf Prozent«, berichtete Mohn.
Die Verbraucherzentralen haben im vergangenen Jahr vier Millionen Einzelberatungen durchgeführt. Tendenz steigend. In Ostwestfalen-Lippe gibt es Filialen in Bielefeld, Gütersloh und Paderborn. Mit einem Anteil von 35 bis 40 Prozent bildeten Finanzdienstleistungen (Versicherungen, Hausbau und Altersvorsorge) das wichtigste Thema. Auf den nächsten Plätzen folgten Telekommunikation und Rechte beim Einkauf. Unsicherheit und Zurückhaltung herrschen, wenn es um Geschäfte im Internet geht. Viele Surfer fragen sich, welchen Anbietern sie vertrauen können.
Gestern war Weltverbrauchertag. Er geht auf eine Initiative des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy zurück und wird seit 1983 begangen. Die Vereinten Nationen gestehen allen Menschen das Recht auf umfassende Information, freie Wahl, sichere Produkte, Verbraucherbildung und Entschädigung zu. Das Recht auf umfassende Information sieht die Verbraucherzentrale Bundesverband in Deutschland mittlerweile als ausgehöhlt an. Carel Mohn: »Die Gesetze auf Bundesebene, beispielsweise zur Liberalisierung der Telekommunikations- und Energiemärkte, haben den Beratungsbedarf erhöht, aber gleichzeitig werden Kapazitäten abgebaut.«
Auch die schwarz-rote Bundesregierung betrachte Verbraucherpolitik als »Luxusthema« und nicht als Gestaltungschnance. Dabei sei es Aufgabe der Politik, angesichts von Rekordgewinnen der Energiekonzerne dafür zu sorgen, »dass die Verbraucher nicht noch mehr Geld für Strom und Heizung ausgeben«. Auch der Markt der Finanzdienstleistungen brauche dringend mehr Transparenz, betonte Mohn: »Millionen Deutsche haben die falschen Versicherungen.«

Artikel vom 16.03.2006