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»Palästinenser gedemütigt«

Abbas verurteilt israelischen Angriiff - Alle Ausländer wieder frei

Gaza/Berlin (dpa). Militante Palästinenser haben einen Tag nach dem israelischen Angriff auf ein Gefängnis in Jericho alle aus Protest als Geiseln genommenen Ausländer freigelassen.
Die letzten vier von elf Verschleppten seien gestern im Gazastreifen auf freien Fuß gekommen, teilte die palästinensische Polizei mit. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kehrte nach Abbruch seiner Europareise in Westjordanland zurück und kritisierte den israelischen Militäreinsatz scharf. Der UN-Sicherheitsrat in New York ermahnte beide Seiten eindringlich zur Ruhe.
Israelische Soldaten hatten am Dienstag in Jericho den inhaftierten Palästinenserführer Ahmed Saadat und mehrere Gefolgsleute aus der Haftanstalt in ihre Gewalt gebracht. Abbas sagte, die Verschleppung sei ein Verbrechen. »Was passiert ist, war ein unverzeihliches Verbrechen und eine Demütigung für das palästinensische Volk und ein Verstoß gegen alle Abkommen«, sagte Abbas bei einem Besuch in Jericho. Aus Protest blieben im Gazastreifen und im Westjordanland viele palästinensische Geschäfte geschlossen.
Israel versetzte seine Polizei nach der Erstürmung des Gefängnisses in erhöhte Alarmbereitschaft. Die Behörden fürchteten Anschläge, berichtete der Rundfunk. Auf öffentlichen Plätzen sei die Präsenz der Polizei verstärkt worden.
Saadat ist Generalsekretär der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Rache für die Erstürmung des Gefängnisses angekündigt hat. Israelische Behörden prüften gestern, ihn und seine Gefolgsleute wegen des Mordes an dem israelischen Tourismusminister Rechwam Seewi im Jahr 2001 anzuklagen.
Die deutsche Regierung rief nach dem israelischen Angriff zur Deeskalation auf. Eine weitere Zuspitzung müsse verhindert werden, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Es sei aber jetzt nicht »der Moment für Schuldzuweisungen«. Beide Seiten müssten sich der Sicherheit für die in den Palästinenser-Gebieten lebenden Ausländer bewusst sein. Außenminister Frank-Walter Steinmeier unterrichtete das Bundeskabinett über die Vorgänge in Jericho.
Dagegen wurde die Erstürmung des Polizeigefängnisses durch israelische Kräfte im Europaparlament in Straßburg scharf kritisiert. Parlamentspräsident Josep Borrell sprach von »einer militärischen Operation, die nicht nötig gewesen wäre, die illegal ist und die sich zur Gewalttätigkeit bekennt«. »Wir sollten uns fragen, wie eine solche Militäraktion dazu dienen kann, die Sicherheit Israels zu stärken«, sagte Borrell.
Die arabischen Golfstaaten verurteilten den Einsatz scharf. In einer in Riad veröffentlichten Erklärung des Golfkooperationsrates (GCC) wurde außerdem der Versuch Israels, »einseitig die endgültigen Grenzen« (zwischen Israel und den Palästinensergebieten) festzulegen, kritisiert. Die internationale Staatengemeinschaft müsse Druck auf Israel ausüben, damit der jüdische Staat seine derzeitige Politik aufgebe. Diese sei darauf ausgerichtet, »mit Waffengewalt Fakten zu schaffen«.
Abbas gab gestern zu, dass die USA und Großbritannien die Palästinenser schon vor einer Woche von ihrer Absicht informiert hatten, ihre Beobachter aus dem Gefängnis in Jericho abzuziehen. Es sei jedoch kein Datum genannt worden und am Dienstag seien die palästinensischen Behörden von dem tatsächlichen Abzug überrascht worden. Am Vortag hatten die Palästinenser den USA und Großbritannien vorgeworfen, mit dem Abzug der israelischen Aktion Vorschub geleistet zu haben.
Dagegen feierte am Tag nach dem Angriff auf ein palästinensisches Gefängnis die israelische Presse den Einsatz der Armee als vollen Erfolg. »Die Rechnung ist beglichen« und eine »Lektion für Hamas« lauteten die Schlagzeilen, nachdem Soldaten Saadat in ihre Gewalt gebracht hatten. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 16.03.2006