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die aus ihrem Glauben kein Hehl machen, die sich zu ihm bekennen und auch ganz ausdrücklich zwischen ihrem Glauben und der Wissenschaft keinen Konflikt sehen. - ganz im Gegenteil. Das II. Vatikanische Konzil hält fest: »Deshalb wird die methodische Erforschung in allen Disziplinen, wenn sie in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den sittlichen Normen vorgeht, niemals dem Glauben wahrhaft widerstreiten, weil die profanen Dinge und die Dinge des Glaubens sich von demselben Gott herleiten« (GS, 36, 2).

Die grandiosen Erfolge der Naturwissenschaften haben manche ihrer Vertreter immer wieder zur Überschreitung von Grenzen verlockt.
Andererseits haben die grandiosen Erfolge der Naturwissenschaften manche ihrer Vertreter immer wieder zur Überschreitung von Grenzen verlockt. Dagegen ist die alte Befürchtung, die Kirche wolle sich unsachgemäß in die Wissenschaft einmischen, heute gewiss unbegründet. Darwin, dem mit seinem Hauptwerk von 1859 »Vom Ursprung der Arten« zweifellos ein genialer Wurf gelungen ist, hatte einen Mechanismus gefunden, der eine selbsttätige Entwicklung von Pflanzen und Tieren darstellt, ohne dazu eines Schöpfers - oder genauer: einzelner Schöpfungsakte - zu bedürfen. Seine begeisterten Vertreter und Nachfolger, die den »Darwinismus« geschaffen haben, gaben dann seiner Theorie einen stark weltanschaulichen Charakter, der seit nun fast 150 Jahren die Welt intensiv beschäftigt. Um nur ein Beispiel von Grenzüberschreitung eines Naturwissenschaftlers zu nennen: Zum 100. Geburtstag des berühmten Werkes von Darwin sagte Sir Julian Huxley in einer Festrede: »Im evolutionären Denken gibt es für das Übernatürliche keinen Platz mehr. Die Erde wurde nicht geschaffen, sie hat sich durch Evolution entwickelt (..). So sind auch die Pflanzen und Tiere auf der Erde Produkte der Evolution, auch wir, Geist, Vernunft und Seele, Gehirn und Leib. Auch Religion ist evolutionär entstanden...«.
Das ist, wie ich finde, nicht eine naturwissenschaftliche Aussage, sondern eine philosophische, eine weltanschauliche - im Grunde ein »Glaubensbekenntnis« zum Materialismus.
Solche und ähnliche Aussagen waren auch in diesem Sommer zu hören. Und sie sind Grund dafür, dass ich von dieser Art von Grenzüberschreitungen in meinem kleinen Artikel in der New York Times sagte: Das ist nicht Wissenschaft, sondern Ideologie. Das ist Weltanschauung.
Hinzu kommt noch die Schlüsselfrage: Was heißt es, dass Gott schafft? An dieser Frage ist nicht nur auch Darwin gescheitert. Wir alle haben keinen Begriff, keine Anschauung, keine Vorstellung von dem, was es heißt, dass Gott Schöpfer ist: Gott schafft aus dem Nichts. Die Schöpfer unserer Dome oder welch sonst auch noch so großartigen Werke haben sich nicht aus dem Nichts geschaffen. Sie haben Materie, Stein, Holz wunderbar gestaltet. Nach allen außerbiblischen Schöpfungsmythen und -epen hat ein Gottwesen die Welt aus bereits Vorhandenem gestaltet.. Die Schöpfung aus dem Nichts, die absolut souveräne Schöpfertat, wie sie die Bibel bezeugt, ist etwas Einmaliges.

Christen glauben nicht nur an einen Schöpfer, der irgendwann einmal die Welt erschaffen und in Gang gesetzt hat, sich aber nicht weiter um sie kümmert, sondern an einen Schöpfergott, der sie auch ständig im Dasein erhält, der die Welt und die Geschichte lenkt - in liebevoller Vorsehung.
Kardinal Schönborn: Im Glauben an den Schöpfer ist auch der Glaube impliziert, dass dieser Schöpfer uns etwas zu sagen hat, durch seine Schöpfung, durch sein Werk, über den rechten Gebrauch dieses Werkes und über den Sinn unseres Lebens. Im Schöpfungsglauben geht es fundamental auch um die Grundlage der Ethik. Die Frage nach dem Ursprung (Woher komme ich?) ist nicht zu trennen von der Frage nach dem Ziel (Wohin gehe ich?), also um die Frage des Planes. Gott ist nicht nur der Schöpfer, der einmal am Anfang ein Werk in Gang gesetzt hat, wie ein Uhrmacher, der eine Uhr geschaffen hat, die dann endlos läuft, sondern er erhält sie und lenkt sie auf ein Ziel hin. Der christliche Glaube sagt, dass sie nicht fertig ist, sondern auf dem Weg. Wissen wir davon? Ein blinder Glaube ohne Einsicht, ohne Einsehbarkeit, wäre kein menschlicher Glaube. Die Kirche hat einen solchen »Fideismus«, einen solch blinden Glauben immer abgelehnt. Der biblisch-jüdisch-christliche Glaube war immer davon überzeugt, dass wir nicht nur an einen Schöpfer und Lenker der Welt glauben sollen, sondern sehr viel über ihn auch mit der menschlichen Vernunft erfassen können. Die Bibel wirft den Heiden, denen, die nicht den wahren Gott verehren, vor, dass sie die Welt, die Natur vergöttern; dass sie hinter der Natur und ihren Erscheinungen mythische, magische Kräfte suchen. Aus Gestirnen, aus Feuer, Licht machen sie Götter. Die Faszination der Schöpfung hat sie dazu verleitet, die Geschöpfe zu vergöttlichen. In diesem Sinn ist die Bibel die erste Aufklärerin. Sie entzaubert in gewisser Weise die Welt, entkleidet sie ihrer magischen, mythischen Macht. Sie entgöttert, »entmythologisiert« die Welt. Ist uns bewusst, dass ohne diese Entgötterung der Welt auch die moderne Wissenschaft nicht möglich geworden wäre? Denn erst der Glaube, dass die Welt endlich ist, dass sie nicht notwendig ist, dass sie auch nicht sein könnte und dass, wie der Schöpfungsbericht sagt, »Gott sah, dass es gut war« (Gen.1, 10), erst das hat es möglich gemacht, dass die Welt und das, was sie bildet, was sie bevölkert, um seiner selbst willen studiert wird.

Das Buch der Weisheit sagt schon in einer unglaublich nüchternen Weise im Alten Testament, Gott habe alles nach Maß, Zahl und Gewicht gemacht.
Das Buch der Weisheit sagt schon in einer unglaublich nüchternen Weise im Alten Testament, Gott habe alles nach Maß, Zahl und Gewicht gemacht. Das ist die Grundlage jeder naturwissenschaftlichen Erforschung der Wirklichkeit. Die ganze Arbeit der Wissenschaft ist ein Entdecken von Ordnung, Gesetzen, Zusammenhängen. Kopernikus, auch Galilei, Newton waren überzeugt, dass es in der Wissenschaft darum geht, im Buch der Schöpfung zu lesen. Gott hat dieses Buch geschrieben, und er hat dem Menschen den Verstand gegeben, damit er dieses Buch entziffern kann.

Die ganze Arbeit der Wissenschaft ist ein Entdecken von Ordnung, Gesetzen, Zusammenhängen.
Ist es vielleicht denkbar, dass in Amerika die Evolutionisten so sensibilisiert gegenüber den radikalen Kreationisten mit ihrem Festhalten am wörtlichen Bericht der Bibel über die Schöpfung in sechs Tagen sind, dass sie Ihren Artikel gar nicht genau gelesen haben, sondern reagiert haben nach dem Motto: Katholischer Kardinal, aha, jetzt kommt der auch noch mit diesem wissenschaftsfeindlichen Quatsch?
Kardinal Schönborn: Für die immense Arbeit der Naturwissenschaften bin ich immens dankbar. Sie haben unser Wissen unglaublich erweitert. Sie bestärken mich in dem Glauben an den Schöpfer und daran, wie weise, wie wunderbar er alles geschaffen hat. Was hindert daran, aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe den Schöpfer zu erschließen? Heute müsste es eigentlich viel leichter sein als vor 2000 Jahren. Wer konnte damals die Unermesslichkeit des Universums erahnen? Konnte man damals ahnen, wie unglaublich komplex, wunderbar, unfassbar ein Atom ist - und wie faszinierend eine Zelle und ihr Funktionieren? Hat dieses Wissen es nicht viel vernünftiger gemacht, an einen Schöpfer zu glauben als ihn zu verdrängen?
Ich sehe keine Schwierigkeiten, den Glauben an den Schöpfer mit der Theorie der Evolution zu verbinden. Unter zwei Voraussetzungen: dass erstens die Grenzen einer wissenschaftlichen Theorie eingehalten werden. Und dass zweitens unser Glaubenswissen mit dem unglaublich entwickelten naturwissenschaftlichen Wissen Schritt hält und wir diesem nicht immer noch mit einem »Kinderglauben« begegnen. Insofern bin ich froh, dass mein kleiner Artikel eine solche Debatte ausgelöst hat. Sie trägt ja vielleicht dazu bei, dass das Thema »Schöpfung und Evolution« oder »Glaube und Naturwissenschaft« vertieft werden kann.

Artikel vom 18.03.2006