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Als Edi Finger narrisch wurde:
Schöns letzter Tango mit Berti

Fußball-WM 1978 in Argentinien: Österreich stoppt den Titelverteidiger

Von Klaus Lükewille
Cordoba (WB). Als stolzer Titelverteidiger waren sie angereist, als verlachter Verlierer mussten sie vorzeitig den Rückflug antreten. Viel Spott und noch mehr Wiener Schmäh begleiteten die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nach ihrem letzten Auftritt bei der Weltmeisterschaft im Sommer 1978 in Argentinien.

21. Juni, Schauplatz Cordoba. Eine Partie, an die sich nicht alle Beteiligten gern erinnern. Ein Spiel, das aber für immer unauslöschlich in den WM-Geschichtsbüchern stehen wird.
Der 21. Juni, das war der Tag, an dem der legendäre österreichische Reporter Edi Finger »narrisch« wurde. Denn gerade hatte der Krankl-Hansi dem Favoriten den dritten Treffer eingeschenkt.
Ein Remis hätte den Deutschen zum Einzug in das Spiel um Platz drei gereicht. Aber am Ende hieß es 3:2 für Österreich. Und die Zeitungen titelten: »Die Schmach von Cordoba«. Der Außenseiter hatte den Weltmeister von 1974 aus dem Wettbewerb gekegelt.
Das war zwar eine Überraschung, doch zu diesem Zeitpunkt schon keine Sensation mehr. Denn die Deutschen, sie quälten sich bereits durch die Vorrunde. Zum Auftakt nur ein mageres 0:0 gegen Polen. Dann der Lichtblick: Mit 6:0 wurde Mexiko abgefertigt. Jetzt musste es doch endlich laufen.
Denkste. Zum Abschluss der ersten Gruppenphase folgte die nächste Nullnummer. Sogar Tunesien trotzte den Deutschen einen Punkt ab, die aber trotzdem in der Zwischenrunde standen.
»Die Mannschaft funktionierte nicht«, bekannte Kapitän Berti Vogts später. Aus der WM-Elf von 1974 waren neben dem Mönchengladbacher Verteidiger nur noch Torwart Sepp Maier, Bernd Hölzenbein und Rainer Bonhof im Aufgebot. Der »Kaiser« musste abdanken. Denn Franz Beckenbauer unterschrieb 1977 bei Cosmos New York. Der Wechsel ins Ausland: heute eher ein Vorteil für die Fortsetzung der Nationalmannschafts-Karriere - er war damals ein unverzeihlicher Fehler.
Denn der DFB reagierte ebenso stur wie knallhart. Beckenbauer verlor sein Kapitäns-Patent, er wurde sofort ausgemustert.
Damit fehlte der Denker und Lenker, die Führungsfigur, der Antreiber. Und so irrte diese deutsche Nationalmannschaft, »Ausgabe 1978«, dann über die argentinischen Fußball-Felder: kopflos, hilflos, orientierungslos und lustlos.
Dazu passte die Kasernen-Unterkunft. Die DFB-Auswahl war in einer Militärschule in Aschochinga einquartiert worden. »Nicht gerade ideale Bedingungen. Wir sind uns da ganz schön auf die Nerven gegangen. Es gab an diesem tristen Ort überhaupt keine Ablenkungsmöglichkeiten«, erinnert sich Karl-Heinz Rummenigge noch heute, der damals seine ersten Weltmeisterschafts-Auftritte absolvieren durfte.
Also kein prima Klima. Und das setzte sich auf dem Platz fort. In der Zwischenrunde sollte Deutschland kein Spiel mehr gewinnen. 0:0 zum Auftakt gegen Italien, 2:2 bei der WM-Revanche gegen die Niederlande. Und dann kam der Tag von Cordoba, als Österreich zum Duell bat.
Rummenigges Führung »glich« Berti Vogts mit einem Eigentor aus, Krankls 2:1 konnte Hölzenbein noch egalisieren. In der 88. Minute die Entscheidung: Rolf Rüssmann patzte, Krankl traf - und das war genau die Sekunde, in der Edi Finger in sein Mikrofon brüllte: »I werd narrisch.«
Nicht nur er. In der Heimat des entzauberten Weltmeisters wurden die Spieler für »Narren« gehalten. Wie konnten die gegen Österreich verlieren? Ausgerechnet gegen Österreich? Nach 47 Jahren ohne Niederlage.
Es war passiert. Deutschland abserviert. »Helmut Schön tut mir leid«, zeigte Franz Beckenbauer, als Zuschauer vor Ort, seine Anteilnahme. 2:3. Adios. Der Bundestrainer, der 1972 (EM) und 1974 (WM) mit seiner Mannschaft alles gewonnen hatte, er musste als Verlierer die Bank räumen.
Abschiedsball im Quartier von Aschochinga. Da floss das Bier, da stieg der Alkoholpegel. Und dazu spielte eine Kapelle. Die dabei waren, sie werden dieses Bild nie vergessen: Berti Vogts zog Helmut Schön auf das Parkett - und sie tanzten den letzten Tango.

Artikel vom 22.04.2006