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Der programmierte Titel:
Arbeitssiege und Rücktritte

Die Fußball-WM 1974: Gastgeber Deutschland erfüllt die hohen Erwartungen

Von Klaus Lükewille
München (WB). Kapitän Franz Beckenbauer stemmt den Pokal. Er ist erleichtert. Bundespräsident Walter Scheel steht daneben. Er gibt sich erlöst und locker. Torwart Sepp Maier klatscht in die Hände. Er lächelt sogar. Ein Bild, das alles sagt über den finalen Erfolg von 1974. Denn glückliche Gewinner, die sehen anders aus.

Dieses Foto wurde am 7. Juli im Münchner Olympia-Stadion aufgenommen. Kurz vor 18 Uhr: Scheel hatte gerade Beckenbauer die Trophäe überreicht. Endstation Endspiel mit dem erwarteten Ausgang: Die Deutschen wollten, sollten und mussten damals den Titel holen. Unbedingt.
20 Jahre und drei Tage nach dem »Wunder von Bern« wunderte sich diesmal niemand mehr. Die Gastgeber waren als Favoriten in dieses Turnier gegangen - und hatten die weltmeisterlichen Erwartungen erfüllt. Basta.
»Der Druck war enorm. Von Anfang an«, erinnert sich Beckenbauer. WM-Zweiter 1966 in England, WM-Dritter 1970 in Mexiko, da war die Krönung vor eigenem Publikum ja fast schon eine Selbstverständlichkeit. Zumal die Mannschaft zwei Jahre zuvor Partien der Extraklasse geboten hatte. Beim EM-Triumph in Belgien.
Aber spielerisch so leicht und taktisch so gefestigt kickte eine DFB-Auswahl danach nie wieder. Den Gala-Vorstellungen von 1972 folgten bei der WM 1974 schwer erkämpfte und erarbeitete Siege. Ein Grund: Günter Netzer, damals überragender Dirigent und kongenialer Partner von Franz Beckenbauer, er stecke im Formtief.
»Leider habe ich die Leistungen des EM-Jahres nicht mehr wiederholen können«, bekennt der Mittelfeldstar noch heute, der dann bei der WM-Endrunde nur einen Kurzauftritt von gerade mal 21 Minuten hatte. Ausgerechnet bei der einzigen Niederlage, dem 0:1 gegen DDR in Hamburg. Die Partie lief an Netzer glatt vorbei.
Wie an der gesamten Mannschaft. Die Niederlage hatte dann allerdings keine schlimmen Folgen, nein, sie verbesserte sogar die Aussichten. Denn nun ging Deutschland in der Zwischenrunde den vermeintlich stärkeren Gegnern wie Brasilien, den Niederlanden und Argentinien aus dem Weg. Der Verdacht lag nahe: Hatten sie deshalb etwa extra das deutsch-deutsche Duell verloren?
Das wird damals wie heute von Beteiligten selbstverständlich kategorisch verneint. »Wir haben uns gegen die DDR total blamiert. Wir wären ja schön blöd gewesen, wenn wir absichtlich den Sieg hergeschenkt hätten«, stellt Beckenbauer immer noch fest.
Aber fest stand damals auch: So ging es nicht mehr weiter. Es musste etwas passieren. Eine veränderte Aufstellung und eine verbesserte Einstellung waren nötig. Unbedingt. Aber Helmut Schön, der eigentlich verantwortliche Mann, er wirkte nach der Hamburger Pleite wie paralysiert. Hilflos, machtlos, ratlos.
Der Kapitän übernahm das Kommando. Franz Beckenbauer »spielte« den Bundestrainer und stauchte seine Kollegen zusammen. Jürgen Grabowski und Uli Hoeneß flogen sogar vorübergehend aus der Mannschaft. Die harte Welle sollte die Deutschen dann mit Siegen gegen Jugoslawien (2:0), Schweden (4:2) und Polen (1:0) in das Finale spülen. Wobei das Wort »spülen« im Rückblick auf die letzte Partie gegen Polen durchaus wörtlich genommen werden darf: In der legendären Wasserschlacht im Frankfurter Waldstadion kamen die Gastgeber als glückliche Gewinner an Land.
Das erste Ziel war erreicht. Sonntag, 7. Juli 1974, Olympia-Stadion München. Deutschland stand - wie erwartet - im Endspiel. Aber der Gegner hatte das eindeutig bessere Turnier gespielt. Die Niederländer gingen deshalb auch als Favorit in diese entscheidende Partie. Alt-Bundestrainer Sepp Herberger prophezeite: »Nur wenn es unserer Mannschaft gelingt, den überragenden Johan Cruyff auszuschalten, nur dann haben wir eine Chance.«
In der ersten Minute klappte es nicht. Uli Hoeneß holte Cruyff von den Beinen. Johan Neeskens nutzte die Chance aus elf Metern. Aber Paul Breitner mit einem ebenfalls verwandelten Foulelfmeter und Torjäger Gerd Müller sorgten noch vor der Pause für das 2:1.
Eine Führung, die der überragende Sepp Maier festhielt und die Vogts als Sonderbewacher gegen Cruyff verteidigte. Die schwarz-rot-goldene Begeisterung hielt sich nach dem Abpfiff allerdings in Grenzen. Und zu diesem programmierten Titel passte dann auch auch das freudlose Nachspiel.
Die sture DFB-Herrenriege verweigerte den Spielerfrauen den Einlass zum Bankett. Gerd Müller und Paul Breitner, die finalen Torschützen, »schossen« sofort zurück. Für sie war bei dieser Feier endgültig Feierabend. Sie räumten vorzeitig den Fest-Saal und erklärten ihren Rücktritt.

Artikel vom 14.04.2006