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Die lange Nacht von Sevilla
war der einzige Lichtblick

Fußball-WM 1982 in Spanien: Finalist Deutschland wurde hart kritisiert

Von Klaus Lükewille
Madrid (WB). Ole? Oh je! Denn vielen Fußball-Fans kamen so manche Vorstellungen der deutschen National-Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 1982 »spanisch« vor. Es fing am 16. Juni in Gijon ganz schlecht an - und hörte am 11. Juli in Madrid auch nicht gut auf.

Sie landeten zwar am 12. Juli als Vize-Weltmeister auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen, aber die Begeisterung in der Heimat hielt sich in Grenzen. Die bundesdeutsche Kicker-Auslese »1982«, nein, das war kein großer Jahrgang. Den meisten Fußball-Anhängern schmeckte es einfach nicht, was da angeboten wurde.
Gleich die Auftaktpartie stieß allen sauer auf. 1:2 gegen den Außenseiter Algerien in Gijon. Welch ein Fehlstart. Und als am Abend nach dem blamablen Auftritt enttäuschte Fans vor dem Mannschafts-Quartier protestierten, »bedankten« sich einige deutsche WM-Kandidaten - zum Beispiel Ersatztorwart Eike Immel - mit feuchten Grüßen aus dem vierten Stock. Sie warfen mit Wasser gefüllte Plastiktüten auf die Straße. Wie witzig!
Wenig spaßig war auch das Klima im Hotel. Bundestrainer Jupp Derwall hatte Paul Breitner überredet, doch bitte, bitte noch einmal für Deutschland aufzulaufen. Der spielte dann überall den röhrenden Platzhirschen: auf dem Rasen - und erst recht hinter den Kulissen. Dabei ließ Breitner die Vorrunde noch locker-flockig angehen. Ein Reporter, den er mit Exklusiv-Informationen versorgte, musste dafür hochprozentig bezahlen. Der tägliche Tausch roter Wein gegen Breitnersche Weisheiten, der klappte reibungslos.
Die schlechte Laune im Umfeld der Mannschaft verbesserte auch der klare 4:1-Sieg gegen Chile nicht. Und die Stimmung war ganz im Keller, als die Deutschen und die Österreicher zum Vorrunden-Abschluss ihren Nichtangriffs-Pakt an einem heißen Nachmittag eiskalt servierten. Das 1:0 von Horst Hrubesch reichte beiden Mannschaften zum Einzug in die nächste Runde - so wurde Algerien aus dem Wettbewerb getrickst.
Die Kritik war vernichtend. Schon während der 90 Minuten von Gijon. Denn da weigerte sich der Fernseh-Reporter Eberhard Stanjek minutenlang, das Ball-Geschiebe zu kommentieren. Vielen hatte es die Sprache verschlagen, Derwall aber nicht: »Wir sind weiter im Rennen, das zählt. Ich weiß selbst, dass das kein besonders schönes Spiel gewesen ist.«
Besser wurden die Vorstellungen der Deutschen auch in der Zwischenrunde nicht. Ein langweiliges 0:0 gegen England, ein mühsamer 2:1-Erfolg gegen Gastgeber Spanien - aber das genügte zum Einzug in das Halbfinale.
Hier sollte der Europameister von 1980 dann endlich eine Partie abliefern, die für immer wie ein Lichtstrahl über diesen so düsteren Tagen von Spanien liegen wird. Die lange Nacht von Sevilla, sie steht in einer Reihe mit den legendären Partien bei der WM 1970 gegen England und Italien.
In der Verlängerung lagen die Franzosen nach 99 Minuten mit 3:1 vorn. Alles klar? Von wegen. Denn die Deutschen schlugen zurück. 2:3 Karl-Heinz Rummenigge. 3:3 Klaus Fischer. Und bei der Entscheidung aus elf Metern gelang Horst Hrubesch der finale Treffer zum 5:4. Um 23.52 Uhr.
Auf der Tribüne schüttelte Englands Fußball-Ass Bobby Charlton nur noch den Kopf: »Diese Deutschen! Da sind sie schon mausetot - und stehen wieder auf.« Aber Harald Schumacher musste sich später erst einmal setzen, als er hörte, dass er dem Franzosen Patrick Battiston mit seiner »foulen« Attacke die Zähne poliert hatte. Doch dann tönte Toni: »Wenn das so ist, dann bezahle ich ihm eben 'ne neue Jackett-Krone.«
Ja, so waren sie damals, die Deutschen. Sehr hart und kein bisschen herzlich. Dazu passt: Im Finale kam es sogar zum Kabinenkrach. Uli Stielike forderte die Auswechselung des angeschlagenen Kapitäns Rummenigge. Verbitterte Verlierer, die sich auch später noch gegenseitig beschuldigten. Fertig mit den Nerven, erledigt auf dem Platz. Taktieren und kämpfen reichte an diesem Tag nicht mehr. Endstation Endspiel. Italien siegte verdient 3:1.

Artikel vom 29.04.2006