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Vom Fußballspiel fasziniert

WM-Paten (Folge 10): Japanerin Kumiko Ogawa-Müller beobachtet Fans

Von Julia Lüttmann
und Oliver Schwabe (Foto)
Enger (WB). »Einen Kimono habe ich schon lange nicht mehr getragen«, verrät Kumiko Ogawa-Müller. Viel zu aufwändig ist der Tokioterin heute das traditionelle japanische Gewand: Eine halbe Stunde braucht sie, um die vielen Schichten Stoff perfekt zu arrangieren. Trotzdem besitzt sie sechs der bunten Kleider - als Erinnerung an ihre Heimat Japan, die sie im Alter von 25 Jahren verließ.

In Tokio hatte Kumiko Ogawa-Müller von 1968 bis 1974 Orgel studiert. Als 1974 eine Gruppe japanischer Musikstudenten die Chance bekam, ihre Ausbildung an der Hochschule für Kirchenmusik fortzusetzen, war sie sofort dabei: »Ich wollte das Land der großen Komponisten kennen lernen«, erinnert sie sich. Besonders Johann Sebastian Bach hatte es ihr angetan. Entdeckt hat die Stipendiatin des Landeskirchenamtes dabei auch einen Beruf, den es in Japan nicht gibt: Kirchenmusikerin. »Die Kombination aus Gemeindearbeit und Musik - das habe ich schon immer gesucht«, erklärt sie, warum sie sich entschied, in Ostwestfalen zu bleiben. »In jeder kleinen Stadt gibt es hier eine vernünftige Orgel«, schwärmt sie von einer Region, die von der Kirchenmusik geprägt wurde.
1977 kam sie mit ihrem Mann, den sie an der Hochschule kennen lernte, nach Enger (Kreis Herford). »Ich bin hier heimisch geworden, in Japan war ich nur noch sechs Mal.« In ihrem Haus hat sie sich dafür ein kleines Stück »Nippon« geschaffen. Der Garten ist im japanischen Stil angelegt, neben dem Klavier hängt eine Schriftrolle, ein filigranes japanisches Teeservice steht in der Vitrine.
Ê »Wenn Deutschland gegen Japan spielt, drücke ich beiden Mannschaften die Daumen«, gibt sie zu - und weiß, dass es ihren beiden Kindern genauso geht. Häufig kamen sie jedoch noch nicht in diese Zwickmühle: Erst einmal trafen die beiden Teams aufeinander - bei der Asientour der deutschen Nationalmannschaft 2004 in Yokohama. Damals gewann Deutschland 3:0.
Das deutsche Team ist für Kumiko Ogawa-Müller bei der WM 2006 einer der Favoriten. »Die Spieler sind sehr motiviert. Die Deutschen haben außerdem viele gute Eigenschaften: Sie sind intelligent und haben Teamgeist«, ist sie überzeugt. »Und wenn die Spieler dann noch Glück haben, wird Deutschland Weltmeister!« Doch auch an die Spieler ihres Heimatlandes hat sie große Erwartungen: »Das Achtelfinale müssen sie schon erreichen.«
Und damit spricht sie ihren Landsleuten aus der Seele: »In Japan ist die Begeisterung für die WM sehr groß«, hat Kumiko Ogawa-Müller aus den Zeitungen erfahren, die ihr Vater ihr regelmäßig schickt. Die Japaner drücken ihrer Mannschaft bei der dritten WM-Teilnahme die Daumen, rüsten sich mit Fanartikeln aus und einige nehmen sogar die weite und kostspielige Reise nach Deutschland auf sich, um ihr Team zu unterstützen. Eine kleine Überraschung für die 57-Jährige: »In meiner Jugend war Fußball in Japan nicht sehr populär. Baseball war unser Volkssport.« Heute ist Fußball nach Baseball die zweitbeliebteste Mannschaftssportart. Während Baseball in den Stadien dominiert, kicken die Kinder auf den Straße.
Auch Kumiko Ogawa-Müller war vom Fußball fasziniert, als sie nach Deutschland kam. Die sportliche Leistung spielte dabei jedoch eher eine Nebenrolle: »Ich fand es interessant, dass es in Europa so viele kleine Länder gibt.« So machte sie sich bei den Übertragungen der Länderspiele gerne ein Bild von den unterschiedlichen Mentalitäten der Spieler und Fans. Und diese möchte sie auch bei der Weltmeisterschaft wieder ausführlich beobachten - und das nicht nur am Fernsehschirm. Denn gegen Ende der WM wird sie nach Japan reisen, und sich dort von der Fußballbegeisterung ihrer Heimat selbst ein Bild machen. Und sollte Deutschland oder Japan den Titel holen, wird gefeiert - natürlich im Kimono.

Artikel vom 31.03.2006