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»Wir stehen kurz vor der Pleite«

Maßnahmen zur Bekämpfung der Vogelgrippe treiben Geflügelhalter in den Ruin

Von Meike Oblau
Rietberg-Neuenkirchen (WB). Die Vogelgrippe zeigt Wirkung, obwohl das Virus in Westfalen noch gar nicht nachgewiesen wurde. Vor allem die Geflügelhalter leiden unter den strengen Auflagen, die sie einhalten müssen.

Der Legehennen-Aufzuchtbetrieb Hartkämper in Rietberg-Neuenkirchen (Kreis Gütersloh) hat besonders hart zu kämpfen. »Wir wissen nicht mehr, wie wir kommende Woche das Futter bezahlen sollen«, schildert Marlies Hartkämper ihre Lage. Der traditionelle Geflügelhof an der Schellertstraße sieht sich dicht vor der Pleite. »Wir haben uns an zahlreiche Politiker gewandt mit der Bitte, den Geflügelzüchtern doch endlich zu helfen. Alle haben sie nur mit den Schultern gezuckt«, schimpft die Neuenkirchenerin. Niemand fühle sich zuständig.
Die Hartkämpers vertreiben ihre Hühner hauptsächlich auf kleinen Märkten, die inzwischen zum Schutz vor der Vogelgrippe aber verboten sind. »Uns wurde die Verkaufsgrundlage entzogen und niemand fragt nach, wie wir dieses Problem auffangen. Wir können es nämlich gar nicht auffangen.«, sagt Marlies Hartkämper.
»Es klingt verrückt, aber finanziell wäre es für uns das Beste, wenn die Vogelgrippe in Rietberg ausbricht. Dann hätten wir wenigstens Anspruch auf Zahlungen aus der Tierseuchenkasse. Im Moment bezahlen wir die Maßnahmen, und zwar mit unserem persönlichen Ruin.«
In dritter Generation führt die Neuenkirchenerin den Betrieb, vor drei Jahren haben sie und ihr Mann Antonius kräftig investiert und neue Ställe gebaut. Normalerweise bleiben die Küken bei Hartkämpers, bis sie im Alter von etwa 20 Wochen legereif sind und weiter vermarktet werden. Doch im Moment sind keine Abnehmer zu finden. »Wir haben Tiere bei uns im Stall, die 25 oder sogar schon 30 Wochen alt sind. Wir müssen sie durchfüttern, sie werden immer weniger wert. Da könnten wir statt des Futters auch Geldscheine in den Stall schmeißen«, ärgert sich Hartkämper.
Gestern hat sie einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel abgeschickt - unterzeichnet von 50 weiteren Rietbergern, die alle die gleichen Sorgen haben. »Wir verstehen die Maßnahmen zum Schutz der deutschen Bevölkerung. Wir sind aber der Meinung, dass unser Beitrag zum Schutz der Gesundheit und zur Abwendung einer Katastrophe in Deutschland von der Solidargemeinschaft getragen werden muss.«
Mit ihren Sorgen stehen die Hartkämpers nicht alleine da. In den Kreisen Gütersloh und Paderborn werden 15 Prozent der gesamten deutschen Legehennen aufgezogen. In etwa 150 bis 200 Betrieben werden derzeit etwa 1,2 Millionen Tiere gehalten, deren Vermarktungszeit seit Anfang Februar läuft und die eigentlich bis Anfang Mai vermarktet sein müssten. Die heimischen Geflügelzüchter befürchten insgesamt einen Umsatzausfall von sechs bis sieben Millionen Euro.
»Steuern zahlen dürfen wir, aber helfen tut uns keiner«, ist Marlies Hartkämper verzweifelt. »Der Gütersloher CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Deittert rät uns, eine Entscheidung abzuwarten, die möglichst bald getroffen werden soll. Aber was heißt Ýmöglichst baldÜ? Wir können nicht mehr warten! Wenn uns jetzt niemand hilft, müssen wir einen Schnitt machen und die Tiere notfalls töten.«
Beim Landwirtschaftsverband Münster kennt man das Problem der Geflügelbetriebe in der Region: »In der Politik gibt es zwar ein Problembewusstsein, aber keine konkreten Aussagen oder Beschlüsse, wie geholfen werden kann. Die Entscheidungsfreudigkeit lässt zu wünschen übrig«, sagte Pressesprecher Hans-Heinrich Berghorn gegenüber dem WESTFALEN-BLATT. Wie viele Betriebe bereits aufgeben mussten, wird in keiner Statistik erfasst.

Artikel vom 14.03.2006