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Die Werkstatt der Poeten ist abgewandert

Renommiertes Bielefelder Unternehmen zieht an den Stadtring Nordhorn in Gütersloh

Von Stephan Rechlin
Bielefeld/Gütersloh (WB). Die Postkarten mit den einfühlsamen Texten zu Liebe, Freundschaft, Glück und Trauer sind bundesweit ein Renner, die rot-weißen Kartenständer in den Buchhandlungen der Republik ein Markenzeichen der Bielefelder Grafik Werkstatt. Ab sofort kommen diese Karten aus Gütersloh.

Die Werkstatt hat ihren Stammsitz zu Monatsbeginn an den Gütersloher Stadtring Nordhorn 113 verlegt - direkt gegenüber der Werbedruck Poppe GmbH, mit der man seit Jahren arbeitet. Produktion und Vertrieb sind zwar nun in Gütersloh angesiedelt, doch den Markennamen »Bielefelder Grafik Werkstatt« gibt das Unternehmen nicht auf. »Unser Atelier befindet sich noch in Bielefeld. Insofern stimmt der Bezug zu unserem Firmennamen nach wie vor«, sagt Reinhard Becker, der die Werkstatt Mitte der siebziger Jahre mit Jochen Mariss gründete.
Dennoch sei der Abschied von der Wittekindstraße in Bielefeld ein tiefer Einschnitt in die Firmengeschichte, räumt Becker ein. An der Bielefelder FH verkauften die beiden Grafikdesign-Studenten Becker und Mariss ihre ersten, auf einer Siebdruckmaschine hergestellten Postkarten-Poster. Die ersten Kunden waren ausschließlich Kommilitonen. In ihrer Abschlussarbeit - dem Bildband »Wandlungen. Gedichte, Texte, Fotografien« - sind ihre ersten Entwürfe zusammengefasst. Die Diplomarbeit verkaufte sich seit 1982 mehr als 100 000 Mal und bildete den Auftakt zu einer ganzen Serie von Geschenkbüchern.
Bis Mitte der neunziger Jahre blieb die Bielefelder Grafikwerkstatt ein Nischenanbieter im eher alternativen Milieu. Für die Grünen entwarfen sie Ende der siebziger Jahre das berühmte Parteilogo mit Sonnenblume. Der Schub kam, als konkurrierende Verlage entdeckten, dass die Bielefelder Text-Bild-Kombination den Massengeschmack traf - vor allem den von Frauen. Weniger einfühlsam, aber mit einem ausgefeilteren Vertrieb drohten sie die Bielefelder aus dem Rennen zu werfen. »Wir mussten uns damals entscheiden, ob wir mithalten oder aufgeben«, sagt Ehefrau Elke Becker.
Sie ist die Geschäftsführerin der damals gegründeten Becker & Becker Vertriebs GmbH - jenes Unternehmen, mit dem die Grafikwerkstatt die Flucht nach vorn antrat. Mit atemberaubenden Erfolg. Aus der studentischen Nebentätigkeit ist ein Unternehmen mit 36 Mitarbeitern geworden. Statt einige hundert Stück produziert die Druckerei Poppe inzwischen 20 Millionen Postkarten pro Jahr - Geschenkbücher, Kalender, Lesezeichen und Umschlagkarten noch nicht eingerechnet. Die kürzeren Produktionswege in Gütersloh und das aktive Bemühen der Wirtschaftsförderer hätten den Ausschlag für den Umzug gegeben. Von Gütersloh aus nimmt die Grafikwerkstatt nun den europäischen Markt in den Blick.

Artikel vom 15.03.2006