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Das Leben eines Schlittschuhläufers

Schauspieler Hanns Zischler las bei Baumgarte aus der Lyrik von Heinz Mack


Bielefeld (uj). Als erstes tauscht Hanns Zischler (58) die Rollen, indem er, der Interviewte, eine Frage stellt: »Wo bin ich hier eigentlich. Gehört Bielefeld schon zu Niedersachsen?« Als er sich dann in Westfalen wähnt, fällt dem Schauspieler sogleich der Westfälische Friede ein. Münster, lässt er sich aufklären, liegt gut 80 Kilometer süd-westlich. Zischler nickt, das geografische Loch ist geschlossen.
Eine Anfrage der Samuelis Baumgarte Galerie hat ihn nach Bielefeld geführt. Dort soll er zur Eröffnung der Heinz Mack-Ausstellung, die die Galerie anlässlich des 75. Geburtstag des renommierten Malers und Bildhauers ausrichtet, aus der Lyrik des Künstlers vorlesen. Macks Werke sind ihm vertraut, in die Gedichte hat er sich schnell eingefunden.
Kein Wunder, bewegt sich Hanns Zischler, der als ausgesprochener Schöngeist und Multitalent - ein Wort, das ihm übrigens nicht gefällt -Êgilt, in der Literaturwissenschaft auf vertrautem Terrain. In Fernseh- und Kinofilmen, zuletzt in Steven Spielbergs »München«, mimt er häufig den vornehmen Machtmenschen und hinterhältigen Bösewicht, im wahren Leben gehört seine Passion den feingeistigen Dingen und der kulturellen Forschung. So hat er wissenschaftliche Essays veröffentlicht, etwa über die Auswirkungen der Kinematologie und Fotografie auf die Entwicklung der Schriftkultur, er schreibt Filmkritiken, Hörfunkessays und arbeitet aktuell an einem Buch über James Joyes sowie an einer Präsentations-DVD über die Geschichte der naturwissenschaftlichen Sammlung des Naturkundemuseums Berlin.
Widersprüchliche Verstrickungen zu seinem Schauspielerdasein kann er daran nicht entdecken. »Das ist wie Schlittschuhlaufen. Jedes Bein zieht in eine andere Richtung und doch geht es geradeaus«, sagt Zischler und fügt an, dass er starre Verhältnisse nicht mag.
Zeit zum Schreiben finde er überall. Drehtage seien vor allem vom Warten geprägt und irgend ein stilles Plätzchen finde sich überall, unterstreicht der viel gebuchte Schauspieler, der demnächst gemeinsam mit Maria Furtwängler in einer ARD-Produktion über die Flucht und Vertreibung der Ostdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg vor der Kamera steht.
Erfolgreich im Beruf, lehnt er den Glamour, der die Filmbranche umgibt, konsequent ab. »Das bereitet mir Unbehagen. Ich bin zwar nicht aufs Maul gefallen, aber Smaltalk lehne ich ab«, sagt Zischler, der sich statt dessen lieber mit russischer und französischer Lyrik beschäftigt, bevorzugt mit dem 1988 verstorbenen französischen Dichter Francis Ponge.
Spielen würde er gerne in sich zerrissene Figuren. Auch die Darstellung eines Klavierstimmers würde ihn mal reizen, sagt Zischler. Fehlt nur der passende Filmemacher.

Artikel vom 13.03.2006