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Gesicht zeigen - eine
Zivilcourage im Alltag

Woche der Brüderlichkeit mit Appellen beendet

Bielefeld (uko). Mit einem Appell zu mehr Engagement, Zivilcourage und Solidarität ist die bundesweite »Woche der Brüderlichkeit« auch in Bielefeld feierlich beendet worden. Oberbürgermeister Eberhard David warb im Sitzungssaal des Neuen Rathauses dafür, »eine Kultur des Hinsehens dort zu schaffen, wo es notwendig ist«.

Unter das Motto »Gesicht zeigen« hatte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Bielefeld die Veranstaltungswoche gestellt, die in einem festlichen Rahmen zu Ende geführt wurde.
Indes schränkte Vorsitzender Manfred Sewekow ein, Brüderlichkeit und Engagement ließen »sich nicht hervorrufen«. So habe die »Woche einen Appellcharakter«. Das Gesicht zu zeigen bedeute auch, gegen »Intoleranz, Hass und coole Visagen« die Stimmen zu erheben.
Festredner Professor Dr. Frank Crüsemann zitierte die rabbinische Erörterung, wann wohl die Nacht ende und der Tag beginne, auf die die weise Antwort folge: »Wenn du das Gesicht von Bruder und Schwester erkennst.« Sein Gesicht zu zeigen, bedeute schlicht Zivilcourage, sei unerlässlich für den Rechtsstaat. 1942 habe Dietrich Bonhoeffer erklärt, die Deutschen entdeckten erst, was Zivilcourage sei. Damit habe der drei Jahre darauf von den Nazis ermordete Theologe nicht die Taten des politischen Widerstandes, sondern eben »den Alltag, das Selbstverständliche« gemeint. Ingeborg Bachmann habe Zivilcourage als »Tapferkeit vor dem Freund« umschrieben; heute sei das auch die Tapferkeit in der Familie, im Freundeskreis, am Stammtisch.
Gesichter würden nicht gezeigt, sofern es sich um Unrecht handele: So bei Exekutionen, wenn Henker das Gesicht verbergen, wenn Todgeweihten das Antlitz verdeckt werde, wenn Folteropfer unkenntlich gemacht würden. Gerade in der deutschen Nachkriegsgeschichte gebe es ein wohlmeinendes Beispiel: Den deutschen Massenmördern seien während der Nürnberger Prozesse nicht die Gesichter verhüllt worden, dort sei der Unmenschlichkeit das Recht, der Humanismus entgegengesetzt worden.
Gerade auch den Konflikt der biblischen Brüder Esau und Joseph stellte Frank Crüsemann beispielhaft für die Erlangung einer »heilsamen Distanz« im Sinne der »Gleichgültigkeit« voran: »Gleichgültig können Kulturen und Religionen sein, wenn sie gleich gültig sind.« Wo indes Rechte gleichgültig würden, »wird Beteiligung zum Mord«, sagte Professor Crüsemann angesichts des Wegschauens vor der Judenverfolgung. Hier das »Gesicht zu zeigen«, das heiße auch, nicht zu wissen, »was die anderen von uns zu sehen bekommen«.

Artikel vom 13.03.2006